Unzureichende Zukunftssicherung bei Opel teuer erkauft

Kein Sterben auf Raten!

Von Carmen Stachowiak

Man kann die Erleichterung förmlich spüren. Beim „Townhall Meeting“ der Opel-Geschäftsleitung in Rüsselsheim herrscht fast gelöste Stimmung. Es gibt spontanen Applaus, als schließlich auch der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Schäfer-Klug die Bühne betritt und seine Sicht auf die „Eckpunkte zur Zukunftssicherung aller Opel-Standorte“ darlegt. Kernelemente: Begrenzung des Personalabbaus auf 3 700 Beschäftigte, Kündigungsschutz für die verbliebenen rund 15 000 Opel-Beschäftigten an den deutschen Standorten bis Sommer 2023 und Investitionen in alle Werke. 3 500 Kollegen hätten bereits über Altersteilzeit, Vorruhestand und freiwillige Abfindungen das Unternehmen verlassen oder ihren Willen bekundet, das zu tun. Somit sei die Umstrukturierung fast beendet. Jetzt könne wieder etwas Ruhe in den Betrieb einkehren.

Wenn es nach Schäfer-Klug gegangen wäre, hätte die Belegschaft gar nichts dafür gegeben, aber den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen gäbe es nun mal nicht umsonst. Und so soll das im Tarifabschluss der Metall- und Elektroindustrie mit Wirkung ab Januar 2019 vereinbarte tarifliche Zusatzentgelt von rund einem Viertel eines Monatsgehalts plus 12,3 Prozent des monatlichen Facharbeiter-Grund­entgelts bis 2023 ausgesetzt werden. Zukünftige Tariferhöhungen ab 2020 werden um ein Jahr verschoben. Außerdem sollen übertarifliche Entgeltbestandteile, die noch als Anpassungen aus den Zeiten der ERA-Einführung existieren und in jeder Entgeltgruppe sehr unterschiedlich ausfallen, auf zukünftige Lohnerhöhungen angerechnet werden können. Faktisch könnten einige Kollegen so über fünf Jahre ohne Lohnerhöhungen dastehen. Das Geschenk der Belegschaft an Opel beläuft sich jährlich auf ein gutes halbes Monatsgehalt.

Damit ist der Kündigungsschutz teuer erkauft. Aber nach monatelangem Hin und Her, Erpressungen und Horrorszenarien hatten die Kollegen wohl Schlimmeres erwartet. Was man noch nicht hat, vermisst man nicht – und so tut die Einigung noch nicht so richtig weh.

Dass Opel damit über Jahre hinweg vom Flächentarifvertrag abweicht und den Verzichtsdruck auf andere Belegschaften erhöht, kann keinen Gewerkschafter froh stimmen. Kämpferische gewerkschaftliche Argumente haben in der Auseinandersetzung allerdings weitgehend gefehlt. Die Verzichtslogik ist tief in der Belegschaft verankert. An der Reaktion der französischen Gewerkschaft CFDT lässt sich dabei unmittelbar ablesen, dass Verzicht in eine Abwärtsspirale führt. Eine Sprecherin sorgt sich, dass Arbeit nun nach Deutschland verlagert werden könne und damit in Frankreich erneut Entlassungen drohten. Nachdem die französischen Kollegen schon drei Jahre auf Lohnerhöhungen verzichtet hatten, dürften sie jetzt nicht noch einmal die Zeche zahlen für die Sanierung des PSA-Konzerns. Das macht deutlich: Mit dem Einknicken der Opelaner ist die nächste Verzichtsrunde eingeläutet.

Für das Werk in Eisenach, an dessen Zukunft die Auseinandersetzung zwischen IG Metall und Geschäftsleitung eskaliert war, wurden mit der Einigung die Investitionen für die Produktion eines Fahrzeugmodells freigegeben. Das SUV Grandland X soll dort ab 2019 im Zwei-Schicht-Betrieb gebaut werden – mit 450 Kollegen weniger als bisher. Die unmittelbare Gefahr für den Erhalt des Werks ist damit vom Tisch. Die Befürchtung, dass Eisenach einen „Tod auf Raten“ stirbt, ist aber nicht ausgeräumt. Die langfristige Auslastung des Standorts ist mit der Produktion eines einzigen Modells nicht gesichert. Die Schließung des Opel-Werks in Bochum ist dafür Beispiel und Mahnung.

Es wird also keine Ruhe geben für die Opelaner. Und es darf keine Ruhe geben. Der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen gewährt einen Aufschub, aber die nächste Erpressungsrunde kommt bestimmt. Damit Verzicht dann nicht wieder als die einzige gangbare Option erscheint, muss intensiv an einer standort- und konzernübergreifenden gewerkschaftlichen Gegenstrategie gearbeitet werden.

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"Kein Sterben auf Raten!", UZ vom 8. Juni 2018



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