Milizen bekämpfen Aufständische im Sudan und helfen der EU bei der Flüchtlingsabwehr

Kein Problem mit Folterern

Von german-foreign-policy.com

Nach dem Sturz des langjährigen sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir am 11. April nehmen die Spannungen zwischen dem seither herrschenden Militärrat (Transitional Military Council, TMC) und der Protestbewegung wieder zu. In der vergangenen Woche hatte es noch geheißen, man nähere sich einer Einigung über die Zukunft des Landes; der Sudan solle bis zu Neuwahlen in einigen Jahren von einer Übergangsregierung aus Zivilisten und Militärs geführt werden. Allerdings blieben ernste Differenzen. Der TMC ist nicht bereit, eine zivile Mehrheit in der Regierung zu akzeptieren. Teile der Protestbewegung dagegen misstrauen den Streitkräften prinzipiell; sie fordern eine ausschließlich zivile Übergangsregierung. Nun hat Generalleutnant Mohamed Hamdan Dagalo, TMC-Vizevorsitzender, mit Blick auf die seit gut vier Wochen andauernde Sitzblockade Tausender Demonstranten vor dem Militärhauptquartier erklärt: „Wir akzeptieren kein Chaos. Wir werden damit streng in Übereinstimmung mit dem Gesetz verfahren.“ Dies wird als Drohung verstanden, die Sitzblockade aufzulösen und die Proteste bei Bedarf mit Gewalt niederzuschlagen. Die Demonstranten haben daraufhin begonnen, neue Barrikaden zu errichten.

Der TMC-Vizechef Hamdan Dagalo, der vielen als eigentlicher Machthaber im Militärrat gilt, hat Berichten zufolge eine führende Rolle bei al-Baschirs Sturz gespielt. Berüchtigt ist er allerdings für seine Taten an verschiedenen Bürgerkriegsschauplätzen im Sudan. Dagalo entstammt einer einflussreichen arabischen Familie in Sudans westlicher Region Darfur, wo er im 2003 eskalierenden Bürgerkrieg schnell zum Milizenführer wurde. Damals kämpfte er gegen darfurische Aufständische, die seinem Clan die wirtschaftliche Lebensgrundlage, nicht zuletzt Schmuggel, streitig machten. Unterstützt wurden seine und andere Milizen, denen schwere Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen wurden, von der Regierung in Khartum. Mitte 2013 formte der sudanesische Geheimdienst NISS (National Intelligence and Security Services) aus diversen darfurischen Milizen die zunächst einige tausend Kämpfer starken „Rapid Support Forces“ (RSF), die unter Dagalos Kommando gegen Aufständische eingesetzt wurden.

Für Berlin und die EU ist das von besonderer Bedeutung, weil die RSF bald im Rahmen des „Khartum-Prozesses“ eine wichtige Rolle zu spielen begannen. Der Khartum-Prozess ist ein Format, in dem die EU-Länder, Norwegen und die Schweiz zur Flüchtlingsabwehr seit November 2014 mit elf Staaten Afrikas von Tunesien bis Kenia kooperieren. Maßgeblich beteiligt ist der Sudan, der nicht nur als Herkunfts-, sondern vor allem auch als Transitland für eine große Anzahl Flüchtlinge aus Somalia, Äthiopien und Eritrea fungiert. Die EU stellt für den Khartum-Prozess eine dreistellige Millionensumme bereit; die Mittel werden zu einem geringen Teil für den Flüchtlingsschutz, vor allem aber für die Förderung der direkten Migrationskontrolle, für schnellere Abschiebungen und für eine verbesserte Feststellung der Identität von Flüchtlingen genutzt. Allein der Sudan soll aus verschiedenen Töpfen bisher gut 200 Millionen Euro zur Flüchtlingsabwehr erhalten haben. Zwar behauptet die EU, kein Geld an die sudanesischen Repressionsapparate zu vergeben. Das ist aber Augenwischerei. Erstens ermöglicht die finanzielle Unterstützung es der Regierung in Khartum, ihre Mittel noch stärker auf Militär und Polizei zu fokussieren. Zweitens rüsten Organisationen wie das UNHCR ihrerseits etwa den Geheimdienst NISS aus.

In die Flüchtlingsabwehr des Sudan, die Berlin und die EU mit dem Khartum-Prozess stark befeuert haben, sind recht bald die RSF eingebunden worden. Berlin und Brüssel haben keine Einwände dagegen geltend gemacht. Das ist insofern bemerkenswert, als Mordbrennereien arabischer Milizen in Darfur in den Jahren ab 2003 von Deutschland und der EU als Genozid eingestuft wurden; in Berlin forderten manche deswegen sogar einen EU-Militäreinsatz im Sudan. Damit, dass die aus diesen Milizen hervorgegangenen RSF unter Führung von Dagalo gegen Flüchtlinge vorgingen, hatte in Europa niemand ein Problem. Dass Flüchtlinge von den RSF monatelang festgehalten, misshandelt und gefoltert wurden, ist belegt. Dabei haben die RSF verschiedenste Tätigkeiten verknüpft. Die Kontrolle der sudanesisch-libyschen Grenze etwa dient ihnen nicht nur zur Flüchtlingsabwehr, für die Khartum EU-Mittel einstreicht, sondern auch zum Kampf gegen rivalisierende Milizen sowie nicht zuletzt zur Durchführung eigener Schmuggelaktivitäten, darunter lukrativer Flüchtlingstransport. Unabhängig davon hat sich RSF-Kommandeur Dagalo bereits im Spätsommer 2016 über die EU beschwert: Trotz aller Anstrengungen seiner Kämpfer im Kampf gegen die Flüchtlinge habe Brüssel nie „Dankbarkeit dafür ausgedrückt“.

Für Berlin ist die Entwicklung im Sudan nicht nur deshalb ein wenig pikant, weil dort jetzt RSF-Chef Dagalo eine führende Position einnimmt. Die RSF – inzwischen zählen sie zehntausende Mitglieder – haben darüber hinaus zahlreiche Krieger in den Jemen entsandt, wo sie im Auftrag Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate Kämpfe gegen die Huthi-Truppen führen. Als Gegenleistung wird der sudanesische Militärrat nun von Riad und Abu Dhabi, zwei Verbündeten Berlins und der EU, mit Milliardensummen finanziert.

Hinzu kommt, dass Berlin die Regierung al-Baschir noch bis kurz vor Beginn der Proteste tatkräftig unterstützte. Wie die sudanesische Oppositionsaktivistin Shadia Abd Almona berichtet, war Deutschland zumindest gegen Ende von al-Baschirs Herrschaft „der größte Unterstützer Sudans in den EU-Ländern“ – „sowohl was die technische Zusammenarbeit angeht als auch finanziell“. Jenseits materieller Hilfen ist die Bundesregierung auch um politischen Einfluss bemüht gewesen. So suchte sie eine führende Rolle in den Gesprächen über die Beendigung des Konflikts in Darfur zu übernehmen. In diesem Zusammenhang verlieh Außenminister Heiko Maas nach sudanesischen Medienberichten gegenüber seinem Amtskollegen in der Baschir-Regierung „dem Wunsch“ Ausdruck, nicht nur die bilateralen Beziehungen zu Khartum zu stärken, sondern Sudan auch „in verschiedenen internationalen Foren“ zu unterstützen, vor allem in der EU. Maas, der sich stets seines Einsatzes für die Menschenrechte rühmt, äußerte dies im November 2018. Vier Wochen später begannen die Massenproteste, die al-Baschir schließlich stürzten.

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"Kein Problem mit Folterern", UZ vom 17. Mai 2019



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