Buchenwald-Gedenken: Von der Selbstbefreiung wird geschwiegen. Sowjetische Fahnen und palästinensische Kufiyas sind verboten

„Kein Ort, um über Genozid zu sprechen“

Leon Wystrychowski

Im Sommer 1943 gründete sich im KZ Buchenwald das Illegale Lagerkomitee (ILK), das den Widerstand unter den Insassen organisierte. Bereits ein Jahr zuvor hatten internierte KPD-Mitglieder die Internationale Militärorganisation (IMO) ins Leben gerufen, die Waffen sammeln und den Aufstand vorbereiten sollte. Als dann mit dem Vorrücken der Alliierten Truppen die als „Evakuierungen“ bezeichneten Todesmärsche aus den KZs begann, wurde klar: die Zeit ist gekommen. Am 4. April wurde der Befehl zur „Evakuierung“ aller 6.000 jüdischen Häftlinge gegeben. Die Antwort des Widerstands war klar: „Wir liefern die Juden nicht der SS ans Messer!“ Durch Manipulationen und den Ungehorsam der Masse konnte die Hälfte der jüdischen Gefangenen vor dem Todesmarsch gerettet werden. Zwei Tage später beschloss das ILK, die Gewalt der SS nunmehr mit Gewalt zu beantworten. Am 9. April sollte das Lager geräumt sein, stattdessen befanden sich dort immer noch 31.000 Menschen. Am 10. April wurden 10.0000 gefangene „evakuiert“. Nun aber befanden sich unter allen Kolonnen bewaffnete Widerstandskämpfer, die die Gefangenen schützen und, wenn möglich, befreien sollten. Am Tag darauf begann die IMO auf Befehl des ILK den Aufstand: Blitzartig wurden die Wachen überwältigt, entwaffnet und verhaftet. Tore und Zäune wurden eingerissen, Kasernen gestürmt und die Gefangenen bewaffnet. So übernahm der Widerstand am 11. April die Kontrolle über das KZ und verhinderte, dass 21.000 Menschen auf die Todesmärsche geschickt wurden. Als die US-Armee am 13. April heranrückte, wurde sie von den freien Männern Buchenwalds begrüßt.

Während die Selbstbefreiung in der von Antifaschisten und ehemaligen KZ-Insassen aufgebauten DDR gewürdigt wurde, spielt sie im offiziellen Gedenken der von Altnazis mit errichteten BRD nicht nur keine Rolle – sie wird explizit negiert und als „DDR-Mythos“ verhöhnt. Heute erinnern nur noch Wenige in Deutschland an den Widerstand Buchenwalds oder an dessen Schwur, der da lautete: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ und der „Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“ sind das Ziel. Gerade in den letzten Jahren wird diese Art des Gedenkens und vor allem des Konsequenzenziehens zunehmend attackiert.

Israel-Fahnen ja, russische Blumen und Kufiyas nein

Mit dabei: Linksliberale bis vermeintliche Linksradikale. So mobilisierten in diesem Jahr verschiedene antideutsche Gruppen aus Leipzig zum Buchenwald-Gedenken, um der „regressiven Instrumentalisierung des Befreiungstags durch Gruppen wie DKP, SDAJ und MLPD etc. entgegenzustehen“. Diesen Kraftakt hätten sie sich freilich sparen können. Denn wieder einmal zeigte sich, dass die herrschende Politik in Deutschland die Politik der Antideutschen ist: Während Nationalfahnen auf dem Gelände der Gedenkstätte offiziell verboten waren, kam u. a. die Thüringer Linkspartei problemlos mit ihren Israel-Fahnen auf das Gelände. Mindestens ein Mitarbeiter der Gedenkstätte trug gut sichtbar einen Israel-Button. Das Nationalfahnen-Verbot – bekannt auch von zahlreichen linken Szene-Demos, um mehr oder weniger verschämt das Zeigen von Palästina-Fahnen zu unterbinden – richtete sich in Buchenwald, wie schon in den letzten Jahren, eindeutig und ausschließlich gegen die Fahnen der Russischen Föderation und der Sowjetunion.

Nachdem russische Vertreter bereits seit 2022 nicht mehr beim offiziellen Gedenken in Buchenwald zugelassen und sogar ihre Kränze für die sowjetischen Opfer zeitnah entfernt wurden, positioniert sich die Gedenkstätte seit 2024 auch offen anti-palästinensisch. So wurde beim letztjährigen Thälmann-Gedenken im August 2024 mehreren Personen zunächst der Zutritt verwehrt, weil sie Kufiyas und T-Shirts mit Palästina-Bezug trugen. Da es allerdings kein entsprechendes Verbot in der Hausordnung gab, konnten die Betroffenen schließlich doch hinein. Offenbar hat man daraus gelernt. Die Hausordnung hat die Stiftung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora nämlich mittlerweile überarbeitet. Neben Kleidung mit rechtsradikalem Bezug sind nun auch Kleidungsstücke und Symbole verboten, „die nach objektiver Betrachtung den Grundwerten und dem Zweck der Stiftung widersprechen.“ Dazu zählen offenbar arabische Kulturgüter ebenso wie Statements gegen Besatzung und Genozid. Und so verwehrte die Leitung beim diesjährigen Buchenwald-Gedenken erneut mehreren Personen den Zutritt, weil sie eine Kufiya trugen – diesmal allerdings mit „Erfolg“. Anna M. von der Kommunistischen Organisation (KO) war sowohl im August als auch jetzt im April von dieser Schikane betroffen und ist damit an die Öffentlichkeit gegangen. Gegenüber „junge Welt“ erklärte sie, rechtliche Schritte gegen die Gedenkstätte zu prüfen.

„Kein Ort, um über Genozid zu sprechen“

Bereits im Vorfeld hatte die israelische Regierung Druck ausgeübt, um einen Auftritt des deutsch-israelischen Philosophen Omri Boehm zu verhindern. Boehm ist Vertreter einer Ein-Staat-Lösung in Palästina und benennt die ethnische Säuberung und den Genozid in Gaza. Der Leiter der Gedenkstätte, Jens-Christian Wagner, erklärte gegenüber „Die Zeit“: „Der Schutz der Überlebenden“ habe für ihn „absolute Priorität“. Er „bedaure außerordentlich, dass sie von Dritten in einen Konflikt hineingezogen wurden“. Die Konsequenz, die Wagner zog, passt allerdings wenig zu diesem Statement, denn Boehm wurde kurzerhand ausgeladen. Als die israelische Botschaft auf X dann nachlegte, Boehm Relativierung des Holocaust vorwarf und seine Einladung „eine eklatante Beleidigung des Gedenkens an die Opfer“ nannte, ließ die Gedenkstätte dies unkommentiert stehen.

Nicht auf sich beruhen lassen wollte man hingegen die Worte einer jungen Rednerin: Sie schloss die Präsentation einer Delegation europäischer Jugendlicher, die auf Einladung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora angereist waren, mit den Worten ab: „Worauf warten wir? Menschen sterben. Menschen sterben in der Ukraine in einem Krieg. Menschen sterben in Palästina in einem Genozid. ¡No pasarán!“ Wagner sah sich bemüßigt, sofort zu erklären: „Wir müssen mit den Menschen, die unschuldig im Gazastreifen getötet wurden, trauern. Aber von einem Genozid im Gazastreifen zu sprechen, wie wir es eben gehört haben, das gehört sich meines Erachtens nicht an einem Ort wie hier.“ Dafür erhielt er lauten Applaus und Jubelrufe.

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