Nach den Verhandlungen am gestrigen Donnerstag (nach Redaktionsschluss dieser UZ) gibt es vielleicht auch mehr Klarheit über die Rentenpolitik der möglichen künftigen Jamaika-Koalition. Keine der beteiligten Parteien hatte in ihrem Programm zu den Bundestagswahlen ein schlüssiges Rentenkonzept vorgelegt. Die Unionsparteien hatten sich in ihrem Wahlprogramm dafür gefeiert, die Rente mit 67, die Zurechnungszeiten für Erwerbsminderungsrenten erhöht und eine „Mütterrente“ eingeführt sowie mit „der schrittweisen Rentenangleichung Ost-West“ begonnen zu haben. Sie gehen davon aus, dass das Rentenniveau weiter sinken wird. Die FDP hatte ein „flexibles Renteneintrittsalter“ gefordert und mehr private Vorsorge. Die Grünen wollten lediglich das Rentenniveau stabilisieren und blieben ansonsten vage.
Und so wurde schon nach der ersten Verhandlungsrunde in den Sondierungsgesprächen über eine mögliche weitere Flexibilisierung der Rente und die Abschaffung der Rente mit 63 spekuliert. Jens Spahn (CDU), Teilnehmer der Sondierungsgespräche, hatte im Vorfeld der Verhandlungsrunde in der vorigen Woche gefordert die Rente mit 63 abzuschaffen. In Kapitalkreisen wurde daraufhin wieder einmal der angebliche Mangel an Fachkräften durch die „Frühverrentung“ beklagt. Michael Hüther, der Direktor des kapitalnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, erklärte, die Rente mit 63 müsse „rückabgewickelt“ werden. Zudem müsse man darüber nachdenken, ab 2029 das Renteneintrittsalter auch über 67 Jahre hinaus zu erhöhen.
Andere fürchten dagegen offenbar die Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften. Denn der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hoffmann hatte Anfang der Woche erklärt, die Rente mit 63 einzuschränken oder gar abschaffen zu wollen, sei eine sozialpolitische Provokation. Das geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall, Hans-Jürgen Urban, erklärte laut „Wirtschaftswoche“: „An einen Job mit über 70 ist für Elektriker, Schlosser und Fahrzeugbauer nicht zu denken. Im Gegenteil: Sie schaffen es oft nicht bis zur Regelaltersgrenze. Ihnen die Rente ab 63 zu nehmen, bedeutet nichts anderes als Rentenkürzung.“ Anfang der vorigen Woche hatte Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied, betont: „Wer die Rente mit 63 zurückdrehen will, ignoriert schlicht die Lebenswirklichkeit vieler Menschen.“ Es müsse mehr statt weniger Möglichkeiten für Beschäftigte geben, vor dem 67. Lebensjahr in Rente zu gehen, forderte die Gewerkschafterin. Viele Menschen erreichten schon heute nicht den regulären Rentenbeginn, etwa aufgrund arbeitsbedingter Belastungen, gesundheitlicher Einschränkungen oder fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten für Ältere. „Diese Menschen fallen heute regelmäßig lange Jahre ins Hartz-IV-System, womit jahrzehntelange Arbeit entwertet wird.“
Spahn hatte – und gab sich dabei besonders „sozial“ – gegenüber der „Rheinischen Post“ auch erklärt, die neue Regierung solle „diese Frühverrentung auslaufen lassen und mit den eingesparten Milliarden lieber die Renten von Witwen oder Erwerbsgeminderten stärken“. Annelie Buntenbach forderte dagegen den Sinkflug des Rentenniveaus zu stoppen. Und wer für Erwerbsgeminderte und Witwen etwas tun wolle, „darf dies nicht zu Lasten von langjährig Versicherten tun, sondern muss zusätzliche Lösungen anbieten“.
Nicht verwunderlich ist im Zusammenhang mit der Rentendebatte, dass in einigen Medien wie „Zeit-Online“ am Mittwoch der vorigen Woche „nachgelegt“, über angebliche „Sonderregelungen“ im Zusammenhang mit der Rente mit 63 fabuliert und ganz im Interesse des Kapitals eine weitere Flexibilisierung des Renteneintrittsalters – mit entsprechenden Ab- oder Aufschlägen – gefordert wurde. Das ist wohl der entscheidende Punkt. Und der Druck auf die Beschäftigten soll erhöht werden, diese gegeneinander ausgespielt werden, statt die gesetzliche Rente zu stärken, das Rentenniveau wieder zu erhöhen.