Medien und Bundespolitik münzen Angriffsplanspiele der Bundeswehr zum „Abhörskandal“ um

Kein Kommentar zum Krieg

„Herr Botschafter, wollen Sie wieder Krieg mit Russland?“, fragte ein Journalist in einem Video, das am Montag durchs Netz ging. Alexander Lambsdorff war gerade aus seiner Limousine ausgestiegen und auf dem Weg ins russische Außenministerium. „Kein Kommentar“, antwortete der deutsche Botschafter und steuerte mit festem Schritt die falsche Tür an – verschlossen. Nach einigem Rütteln fand er den richtigen Eingang. „Wir haben eine Einladung“, teilte er noch mit und verschwand im Gebäude.

Was das für eine Einladung war, darüber herrschte am Montag Uneinigkeit. Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidialamtes, hatte sich zu einem Geheimgespräch hochrangiger Bundeswehrgeneräle geäußert, das Ende vergangener Woche veröffentlicht worden war. Luftwaffenchef Ingo Gerhartz hatte sich in einer Videokonferenz mit drei weiteren Offizieren über einen möglichen Einsatz von „Taurus“-Marschflugkörpern gegen Russland unterhalten. Die Runde tauschte sich unter anderem darüber aus, wie ein erfolgreicher Angriff auf die Krim-Brücke von Deutschland aus begleitet werden könnte. Auch der Einsatz von verdeckt agierenden Bundeswehrsoldaten oder die Zusammenarbeit mit britischen oder US-amerikanischen Streitkräften in der Ukraine wurde in Erwägung gezogen. „Aus der Aufnahme selbst geht hervor, dass innerhalb der Bundeswehr Pläne für Angriffe auf russisches Territorium inhaltlich und konkret diskutiert werden“, erklärte Peskow laut „tagesschau.de“. Deshalb sei der deutsche Botschafter einbestellt worden.

Lambsdorff widersprach. Es sei um „verschiedene bilaterale Themen“ gegangen. In der Sache äußerte er sich nicht. Damit reihte er sich in die lange Reihe von Entscheidungsträgern ein, die das hochgefährliche Planspiel deutscher Militärs ignorierten und sich öffentlichkeitswirksam mit Nebenschauplätzen befassten. In Windeseile deuteten Politik und Medien die Weltkriegsvorbereitung in einen „Abhörskandal“ um.

Als Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) vor die Kameras trat, war das Ablenkungsmanöver schon im vollen Gange. „Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation“, verlautbarte der Minister. Worin die vermeintliche Lüge bestand, sagte er indes nicht. Weder sein Ministerium noch die Bundeswehr hatten die Echtheit des geleakten Gesprächs bestritten. Russische „Desinformation“ war also nicht zur Hand. Deshalb griff Pistorius selbst zu spekulativen Nebelsätzen. Es sei kein Zufall, dass der Mitschnitt „am Ende einer Woche, also kurz vor dem Wochenende, am Tag nach der Trauerfeier für Nawalny, nach neuen Enthüllungen zum Wirecard-Skandal“ veröffentlicht worden sei, so der Minister. Wie das alles zusammenhängt erläuterte er nicht.

Noch ein paar Meter weiter neben der Spur legte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach: „So wichtig es für uns als Bundesregierung ist, diesen Vorfall jetzt aufzuklären, so klar sind aber die Fakten. Und es kann hier zu keiner Täter-Opfer-Umkehr kommen.“ Deshalb forderte sie weitere Waffenlieferungen. Auf „Taurus“ ging sie dabei nicht explizit ein.

Das tat dafür Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er wiederholte am Montag seine Ablehnung einer „Taurus“-Lieferung, die nur unter Einsatz deutscher Soldaten möglich sei, sofern man die Kontrolle über die weitreichenden Waffen behalten wolle. Das hatten auch die Generäle mit ihrem Gespräch bestätigt und abenteuerliche Szenarien ausgeheckt, wie deutsche Zielprogrammierungen mit dem Auto in die Ukraine transportiert werden könnten. Ohne Belege geisterte zu Wochenbeginn dennoch die Meldung durch den Blätterwald, dass Scholz gelogen habe. Ampel und rechte Opposition nutzten die Gelegenheit. Sie drängten dazu, den Feldzug gegen Russland zu intensivieren und weitere rote Linien fallen zu lassen. Daran, dass Scholz nach zwei Jahren „Zeitenwende“ ein Kriegskanzler ist, besteht kein Zweifel. Daran, dass andere glauben, sie könnten es besser, auch nicht.

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"Kein Kommentar zum Krieg", UZ vom 8. März 2024



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