Am 20. Juni ist der 90. Todestag Clara Zetkins – und der 100. Jahrestag ihrer bekannten Rede „Der Kampf gegen den Faschismus“. Zetkin war eine entschiedene Gegnerin von Faschismus, Krieg und Kolonialismus. Trotzdem empfiehlt eine „Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen“, die Clara-Zetkin-Straße in Tübingen als „kritikwürdig“ zu markieren – mit einem „Knoten“ aus dem 3D-Drucker, den sonst ausschließlich Nazis, Antisemiten, Kriegs- und Kolonialverbrecher erhalten. Clara Zetkin würde also in eine Reihe gestellt mit den Nazis, gegen die sie bis zuletzt ankämpfte. Das gilt es zu verhindern!
Ob ihrer Überzeugungen stand Zetkin schon früh im Visier rechtsradikaler Terrororganisationen. 1919 musste sie aus ihrem Haus in Stuttgart-Sillenbuch flüchten und sich in einer Wohnung in der Tübinger Neckargasse verstecken, weil Rechtsradikale einen Mordanschlag auf sie geplant hatten. Zum Kampf gegen den Faschismus rief sie schon Anfang der 1920er-Jahre auf. Dasselbe tat sie, schon schwer krank und fast erblindet, noch in ihrer Eröffnungsrede als Alterspräsidentin des Reichstags 1932 – vor 230 uniformierten Nazis, und obwohl sie bedroht worden war. Ausgerechnet sie, die bereits 1923 Vorsitzende eines internationalen Komitees zur Bekämpfung des Faschismus wurde und sich seither unermüdlich gegen den Faschismus und für dessen Opfer engagierte, in einem Atemzug mit Faschisten zu nennen, verbietet sich. „Jedwede Gleichstellung von Antifaschistinnen und Antifaschisten mit den Verbrechern und Profiteuren des Naziregimes stellt eine untragbare und überaus gefährliche Form des Geschichtsrevisionismus dar“, heißt es entsprechend in einer Stellungnahme der VVN-BdA Baden-Württemberg.
Im Januar 2023 legte die Historikerkommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennahmen ihren Abschlussbericht vor. Unter den Namen, die nach ihrer Einschätzung „in der Kritik“ stehen, findet sich – neben denen von Faschisten und Antisemiten – auch der von Clara Zetkin. Während Benennungen wie etwa Bismarck- oder Wilhelmstraße nicht kritisiert werden, empfiehlt die Kommission, die Clara-Zetkin-Straße mit einem „Knoten“ zu versehen. Das Aktionsbündnis Kein Knoten für Zetkin zeigt, dass die Behauptungen, auf denen die Empfehlung an den Tübinger Gemeinderat beruht, wissenschaftlich nicht haltbar sind. So behauptet die Kommission beispielsweise, Zetkin habe in einem Prozess 1922 für Todesstrafen plädiert, während sie sich in Wirklichkeit gegen Todesstrafen einsetzte. Was bei Zetkin nur behauptet wird, ohne belegt werden zu können, trifft hingegen auf Wilhelm I. von Württemberg zweifelsfrei zu: Tübingens repräsentativste Straße, die Wilhelmstraße, ist nach einem Monarchen benannt, der die Prügel- und Todesstrafe wieder einführte. Anders als bei Zetkin sah die Kommission laut ihrem Abschlussbericht bei Wilhelm aber „keine konkreten Hinweise auf eine ethische Problemlage“ – ein Skandal. Besonders merkwürdig ist auch, dass die Kommission gleichzeitig bei zwei Straßen, die nach NSDAP-Mitgliedern benannt sind, empfiehlt, die bereits angebrachten Knoten kommentarlos zu entfernen.
Das Aktionsbündnis Kein Knoten für Zetkin protestiert gegen die Einordnung Zetkins durch die Kommission und fordert den Gemeinderat auf, deren Empfehlung nicht zu folgen. Die Initiative findet breite lokale und überregionale Unterstützung durch mehr als 20 Organisationen und Einzelpersonen, darunter auch die Clara-Zetkin-Gedenkstätte in Birkenwerder und das Clara-Zetkin-Haus Stuttgart. Der Gemeinderat wird im Herbst 2023 darüber entscheiden, ob er der Empfehlung der Kommission folgen möchte. Bis dahin ruft das Bündnis dazu auf, aktiv zu werden, sich an die Gemeinderatsfraktionen und die Öffentlichkeit zu wenden. Fact Sheet, aktuelle Termine, eine Chronologie der bisherigen Ereignisse und weiteres Material auf der Website des Bündnisses.
Clara Zetkins Rede „Der Kampf gegen den Faschismus“ liegt als Beilage der Ausgabe 2023/2 der Marxistischen Blätter bei.
Rund um den 90. Todestag Zetkins finden mehrere Veranstaltungen statt, z. B. in der Zetkin-Gedenkstätte, in der Tübinger Schellingstraße und im Clara-Zetkin-Haus.