Die Namensgebung der Clara-Zetkin-Straße in Tübingen gilt einer „Expertenkommission“ als kritikwürdig. Am Donnerstag entscheidet der Gemeinderat, ob das Straßenschild mit einer Markierung versehen wird, die sonst für Faschisten und Kolonialverbrecher vorgesehen ist. UZ sprach mit Sophie Voigtmann, der Sprecherin des Aktionsbündnisses „Kein Knoten für Zetkin“.
UZ: Die „Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen“ empfiehlt in ihrem Abschlussbericht, die Clara-Zetkin-Straße mit einem „Knoten“ zu versehen. Dagegen hat sich Ihr Aktionsbündnis gegründet. Vielleicht zu Anfang, wie kam es zu dieser Kommission und welche Aufgabe hat sie?
Sophie Voigtmann: Die Kommission wurde von der Stadt Tübingen eigentlich nur beauftragt, die Biografien von elf Namensgebern Tübinger Straßen zu überprüfen, die mit Kolonialismus und Faschismus in Verbindung stehen. Sie sollte auf wissenschaftlicher Grundlage Empfehlungen ausarbeiten, wo Umbenennungen angebracht sind. In der Zwischenzeit wurden diese elf Straßen mit Markierungen versehen, um auf die anstehende Entscheidung aufmerksam zu machen – „Knoten“ aus dem 3D-Drucker. Die Kommission hat dann ihren Arbeitsauftrag selbst ausgeweitet und weitere ihrer Ansicht nach „kritikwürdige“ Straßennamen festgestellt. Zudem hat sie für manche Straßen anstelle von Umbenennung einen „Knoten“ als dauerhafte Markierung vorgeschlagen. Hiervon ist nun auch die Clara-Zetkin-Straße betroffen – während Namensgeber wie etwa Bismarck nicht kritisiert werden.
UZ: Und was bedeutet dann ein solcher Knoten konkret? Welche Konsequenzen hätte eine solche negative Verleihung?
Sophie Voigtmann: Der Knoten soll auf moralisches Fehlverhalten der Namensgeber hinweisen. Alle Straßen, die außer Zetkin einen solchen Knoten erhalten sollen, sind nach Personen benannt, die wegen Faschismus, Rassismus oder Kriegsverbrechen in der Kritik stehen. Dass ausgerechnet die Antifaschistin und Kriegsgegnerin Zetkin mit diesen Personen auf eine Bewertungsstufe gestellt werden soll, ist gerade in Zeiten des Rechtsrucks und der Militarisierung nicht zu akzeptieren. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), die unser Bündnis unterstützt, spricht von Geschichtsrevisionismus.
UZ: Sie werfen dieser Kommission unwissenschaftliches Arbeiten vor. Gehen wir doch ruhig auf die Vorwürfe ein. Was entgegnen Sie dem Vorwurf der „Mitwirkung an Justizverbrechen“ Clara Zetkins?
Sophie Voigtmann: Die Kommission behauptet, Zetkin habe 1922 im Moskauer Prozess gegen die Sozialrevolutionäre für Todesstrafen plädiert. Wir konnten mit Verweis auf historische Quellen nachweisen, dass dies falsch ist. Tatsächlich hat sich Clara Zetkin sogar erfolgreich gegen die Vollstreckung von Todesurteilen engagiert.
UZ: Und wie sieht es mit der vorgeworfenen „Demokratiefeindlichkeit“ aus?
Sophie Voigtmann: Zetkin spielte eine wichtige Rolle im Kampf ums Frauenwahlrecht und war die erste Frau, die in einem deutschen Parlament eine Rede gehalten hat. Sie war Mitglied des Reichstags der Weimarer Republik und hat ihr Leben im Kampf gegen den drohenden Faschismus riskiert. Sie übte zugleich Kritik an der bürgerlichen Demokratie, weil diese unter kapitalistischen Verhältnissen formal und unvollständig bleibt. Ihr Engagement im Sinne der Gleichheit, der Selbstbestimmung und des guten Lebens für alle Menschen mit dem der rechten Demokratiefeinde gleichzusetzen ist absurd.
UZ: Was macht aus Ihrer Sicht Clara Zetkin zu einer herausragenden historischen Persönlichkeit?
Sophie Voigtmann: Zetkin hat theoretisch und praktisch in vielen Bereichen bis heute bedeutsame Arbeit geleistet. Als Vorkämpferin der proletarischen Frauenbewegung und Initiatorin des Internationalen Frauentags ist sie weltweit bekannt und geachtet. Als Kriegsgegnerin und Internationalistin, in der Kommunistischen Internationale und in der Roten Hilfe, hat sie sich immer für die Ausgebeuteten und Unterdrückten eingesetzt. Schon 1923 legte sie eine bedeutende Analyse des erstarkenden Faschismus in Europa vor. Und noch 1932 hielt sie als schwerkranke Alterspräsidentin eine Rede im Reichstag, in der sie zum vereinten Kampf gegen den Faschismus in Deutschland aufrief.
UZ: Wer unterstützt Ihre Sicht und beteiligt sich am Aktionsbündnis?
Sophie Voigtmann: Das vielfältige Engagement Zetkins spiegelt sich auch in unserem Protest wider. Wir werden von über 25 linken, feministischen, antifaschistischen und antimilitaristischen Organisationen unterstützt sowie von Einzelpersonen, wie etwa von der Publizistin und Zetkin-Expertin Florence Hervé. Die ganze Liste findet sich auf unserer Website.
UZ: Tübingen ist bekanntlich eine Universitätsstadt. Wie ist die Stimmung unter den Studierenden zum Thema?
Sophie Voigtmann: Wir erfahren Sympathie und Solidarität aus allen Teilen der Stadtgesellschaft. Leider ist Zetkin aber gerade unter Jüngeren teilweise kein Begriff mehr. Daher bewirkt unsere Kampagne mit öffentlichen Veranstaltungen und Debatten auch, dass sich Menschen überhaupt wieder mit ihr und ihrem Engagement beschäftigen. Die Lokalzeitung schrieb kürzlich, dass Zetkin durch den Protest „innerhalb kürzester Zeit zur bekanntesten Namensgeberin einer Tübinger Straße avancierte“.
UZ: Und wie verhält sich die Kommunalpolitik bisher dazu? Der Gemeinderat soll am 26. Oktober entscheiden. Was sagen die einzelnen Fraktionen?
Sophie Voigtmann: Wir können davon ausgehen, dass „Linke“, SPD und „Die Fraktion“ gegen den „Knoten“ für Zetkin stimmen werden. Die Grünen sind die größte Fraktion im Gemeinderat, von ihnen hängt es letztlich ab, sie haben sich aber nicht gemeinsam positioniert, ebenso wie CDU, FDP und Tübinger Liste. Wir versuchen daher weiterhin, den Gemeinderat mit unseren Argumenten zu überzeugen.
UZ: Mit Blick auf die Fraktionsstärken im Gemeinderat würde ich denken, der linke beziehungsweise linksliberale Wahlblock hätte locker eine Mehrheit. Warum zieht sich die Diskussion so in die Länge seit Januar?
Sophie Voigtmann: Die Entscheidung war von Anfang an für den Herbst angekündigt. Natürlich hätte die Stadtverwaltung angesichts unserer Argumente ihren Vorschlag aber auch längst zurückziehen können. Die Kommission und das zuständige Kulturamt weigern sich allerdings, ihre Fehler öffentlich einzuräumen. Andererseits wird versucht, unsere Kritikpunkte rhetorisch zu umschiffen. Und es wird versucht, unseren Protest zu diskreditieren. Kürzlich konnten wir nachweisen, dass eine angebliche „Flut“ beleidigender Einsendungen vom Kulturamt erfunden worden ist, um den Protest zu diskreditieren. Auch falsches Vertrauen in die mit akademischen Titeln geschmückte Kommission und antikommunistische Vorurteile spielen eine Rolle.
UZ: Welche politischen Aktionen haben Sie unternommen und was haben Sie sich noch vorgenommen, bevor die Entscheidung fällt?
Sophie Voigtmann: Zunächst hatten wir Anfang des Jahres einfach unsere Rechercheergebnisse in einem Fact-Sheet gebündelt und veröffentlicht. Als Bündnis informieren wir auf unserer Webseite keinknoten.wordpress.com über die Ereignisse. Wir haben Veranstaltungen organisiert, um über Zetkin aufzuklären, und tragen die Debatte in die Öffentlichkeit. Am 26. Oktober wird die Entscheidung gefällt. Bevor wir um 17 Uhr gemeinsam die öffentliche Sitzung besuchen, wird es ab 16 Uhr eine Kundgebung auf dem Marktplatz vor dem Rathaus geben. Dort werden wir noch einmal deutlich machen, warum ein „Knoten“ für Zetkin wissenschaftlich unhaltbar und politisch ein Skandal wäre.