„Eine Eskalation des Krieges über Gaza hinaus ist in niemandes Interesse“, erklärte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller. Das Mittel der Wahl für die US-Politik: Abschreckung. Die Ansar Allah im Jemen, die Hisbollah im Libanon, die Verbündeten der Hamas im Irak – sie alle sollen abgeschreckt werden vor einer Eskalation. Dabei waren gerade die Angriffe der USA mitten in der Hauptstadt des Irak und Israels in der Hauptstadt des Libanon eine weitere Stufe der Eskalation.
In Bagdad griffen die USA das Büro einer Miliz an, die sie für mittlerweile 140 Angriffe auf ihre Stützpunkte im Irak und in Syrien verantwortlich machen. Die Reaktion des Irak kam umgehend. Ministerpräsident Mohammed Shia‘ al-Sudani nannte es eine gefährliche Eskalation, Iraks Außenminister Fuad Hussein nannte es einen Angriff auf eine irakische Sicherheitseinrichtung – und die Rufe, die einen Abzug der ausländischen Truppen fordern, werden wieder lauter.
Der israelische Angriff auf Saleh al-Arouri, den hochrangigen Vertreter der Hamas in Beirut, und seine Begleiter war eine weitere Provokation, die eine Ausweitung des Krieges näherbringt. Der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, erklärte in einer Rede am Freitag, dass dieser Angriff nicht unbeantwortet bleiben würde.
Am nächsten Tag griff die Hisbollah mit 62 Raketen die Militärbasis Meron an, eine der beiden Zentralen für die Luftraumüberwachung Israels. Sie liegt auf dem Berg Meron, der höchsten Erhebung in Israel und etwas weiter von der Grenze entfernt als die bisherigen Ziele der Hisbollah. Die drei großen Radarkuppeln der Militärbasis und unzählige weitere Einrichtungen überwachen militärische und zivile Flüge und ebenso die Drohnen, die über Syrien und dem Libanon im Einsatz sind. Das israelische Militär gibt keine Einschätzung über den von den Raketen angerichteten Schaden heraus, um der Hisbollah keine Informationen zu geben.
Soweit die Angriffe der USA und Israels einer „Abschreckung“ dienen sollen, werden sie ihr Ziel verfehlen. Die Verbündeten der Hamas haben von vornherein erklärt, einen Waffenstillstand werde es erst geben, wenn auch in Gaza die Waffen schweigen und die Versorgung der Bevölkerung gesichert ist. Und tatsächlich variiert die Hisbollah ihrerseits den militärischen Druck fast nach Belieben. Tendenz weiterhin steigend.
Weitgehend belanglos scheint mittlerweile das Schicksal der entführten beziehungsweise der kriegsgefangenen israelischen Soldaten in Gaza. Von der israelischen Regierung alleingelassen, mussten ihre Familien nach Katar reisen, um dort zu versuchen, etwas für ihre Freilassung zu erreichen. Der Ministerpräsident von Katar musste sie negativ bescheiden: Die Ermordung Arouris in Beirut habe weitere Verhandlungen erschwert.
Der „Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik“, Josep Borrell, warnt ebenfalls vor einer Ausweitung des Krieges und traf sich mit einer Reihe von Politikern im Libanon – darunter war sogar eine Delegation der Hisbollah mit dem Parlamentsabgeordneten Mohamed Raad. Doch hatte die Hisbollah schon zuvor erklärt: Keine Verhandlungen ohne Waffenstillstand.
Der französische Präsident Emmanuel Macron rief nach der Ermordung von Arouri den israelischen Minister Benjamin Gantz zur Mäßigung auf. Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock äußert sich auf ihrer Nahostreise ähnlich und sicherte zugleich der israelischen Regierung die tatkräftige Solidarität Deutschlands zu. Einer Regierung, die zwischen Gantz, Benjamin Netanjahu und Itamar Ben Gvir erkennbar zerstritten ist. Nur eines wollen offensichtlich weder die USA noch Israel noch die EU: einen sofortigen Waffenstillstand.
In der nächsten UZ:
Ganzseitige Hintergrund von Wiebke Diehl über die Hisbollah