Viele fortschrittliche Menschen in den USA haben für Joe Biden als dem scheinbar kleineren Übel votiert. Sie hoffen, ein Präsident der Demokratischen Partei sei druckempfindlicher für die Forderungen außerparlamentarischer Bewegungen als ein Präsident Trump. Wir teilen diesen Optimismus nicht.
Wahlkampf, Wahlkampfgetöse und Wahlausgang sind Ausdruck dessen, dass unterschiedliche Kapitalfraktionen, also Teile der herrschenden Klasse, in den USA uneins sind wie eine absteigende imperialistische Großmacht diesen Abstieg verhindern kann. Auch dass sich nahezu die gesamte Politik und nahezu alle Medien in Deutschland auf die Seite von Biden schlugen und nun seinen Wahlsieg begrüßen oder feiern hat nichts mit einem neuendeckten Herz für die Ausgebeuteten diesseits oder jenseits des Atlantik zu tun. Maßgebliche Teile des Monopolkapitals in Deutschland sehen ihre Interessen besser mit Biden als mit Trump gewahrt. Auch Joe Biden steht nicht für soziale Reformen zugunsten der Werktätigen. Mitten in der Pandemie hat er sich beispielsweise gegen eine allgemeine Krankenversicherung ausgesprochen.
In unserem Land wurde Trump und wird jetzt der Sieg von Biden zum Anlass genommen, eine stärkere Rolle des deutschen Imperialismus in der NATO, in der EU und mehr Eigenständigkeit zu fordern. Wahlkampfgetöse und Wahlausgang werden für die weitere Hochrüstung instrumentalisiert. Dagegen gehen wir am 5. Dezember mit der Friedensbewegung auf die Straße.
Friedens- und antiimperialistische Kräfte, Kräfte des gesellschaftlichen Fortschritts sollten sich keine Illusionen machen. Bidens Umgangsformen mögen besser sein, aber er steht für die Aggression gegen Venezuela und Kuba, für den Kurs der Einkreisung der Russischen Föderation und der VR China, er steht für die Stärkung der NATO und die Fortführung der nuklearen Teilhabe. Dies alles hat er als langjähriger Vizepräsident bewiesen. In seiner Zeit als Vize-Präsident unter Obama haben die USA über 500 bekanntgewordene Drohnen-Angriffe durchgeführt. Frieden, antiimperialistische Solidarität und gesellschaftlicher Fortschritt müssen, wie unter Trump und allen bisherigen US-Präsidenten, gegen Biden durchgesetzt werden. Ob sich die Spielräume dafür erweitern lassen wird sich in den kommenden Kämpfen zeigen.
Essen, 10. November 2020