Die schwäbische Kleinstadt Tuttlingen (rund 34 000 Einwohner) ist seit alters her ein Mekka für Medizintechnikhersteller: Über 400 Betriebe gibt es in der ehemaligen Messerschmiedestadt an der Donau, viele mit nicht mehr als zehn Mitarbeitern, nicht selten Garagenfirmen, die wie die Gezeiten kommen und gehen. Drumherum noch Zuliefererbetriebe wie Werkzeugmacher oder Galvaniseure.
Mit zusammen mehr als 8 000 Arbeitsplätzen ist die Region Tuttlingen ein entlang der Wertschöpfungskette auf Medizintechnik spezialisiertes Cluster. Tuttlingens ältestes Medizintechnik-Unternehmen ist die Aesculap AG mit 3 500 Beschäftigten. Der zweitgrößte Medizintechnikbetrieb in der Stadt und einer der Weltmarktführer in der Endoskopie ist die Karl Storz GmbH mit rund 7 500 in 40 Ländern und knapp 2 000 Beschäftigten am Standort Tuttlingen. Sybill Storz (80) führt das Unternehmen, das den Namen ihres verstorbenen Vaters trägt. Über Wohl und Wehe des Unternehmens und seiner Beschäftigten entscheidet sie wie eine Patriarchin, die bis ins kleinste Detail ihre Firma kontrolliert und beherrscht. Storz selber bekennt freimütig: „Ich muss über alles einen Überblick haben.“
In den vergangenen zehn Jahren hat sie den Umsatz fast verdreifacht und die Zahl der Beschäftigten verdoppelt. Mehr als 90 Prozent des Geschäfts macht Storz außerhalb Deutschlands. Der Öffentlichkeit gegenüber agiert die Unternehmenslenkerin genauso zurückhaltend wie schon ihr Vater Karl Storz, der das Unternehmen gleich nach dem Krieg 1945 gründete. Andererseits verrät sie gern den „Trick“ ihres Vaters, der die Betriebsgründung erst möglich machte. „Eigentlich durften damals nur Personen Firmen gründen, die im Besitz einer Handwerkskarte waren“, erzählt Tochter Sybill. „Mein Vater hatte keine, aber den gleichen Namen wie mein Großvater, so klappte es dann doch.“
Anlässlich des Empfangs der Stadt Tuttlingen zu Ehren des 80. Geburtstags von Sybill Storz gab es stehenden Applaus. Ex-Bundespräsident Horst Köhler war dazu als Laudator angeheuert worden. Er pries die Jubilarin in den höchsten Tönen: „Sie kumpeln mit niemandem, sind aber allen Mitarbeitern zugewandt.“ Der Erfolg des Unternehmens, an dem Sybill Storz maßgeblich ihren Anteil habe, beruhe auf einer Gesamthaltung, die „Vertrauen schafft und Früchte trägt. Sie waren begabt und berufen dazu. Wir feiern eine einzigartige große Lebensleistung.“ Sybill Storz gelte als fair und fordernd, so Köhler. Das zahlte und zahlt sich aus. Ihr Unternehmen wächst und gedeiht – nicht zuletzt auf Kosten der „lieben Mitarbeiter“ – und erzielt einen Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro. Das Magazin „Forbes“ führt die geschäftsführende Gesellschafterin Sybill Storz mit gut 2,1 Milliarden Dollar (= rund 1,95 Milliarden Euro) Privatvermögen auf Rang 973 ihrer neuesten Liste der reichsten Menschen der Welt und sie landet damit auf Platz 59 in Deutschland.
Doch wie steht es im Unternehmen mit Gewerkschaften und Betriebsrat? Als die Patriarchin 2014 von der örtlichen „Schwäbischen Zeitung“ gefragt wurde, ob bei Storz auch Betriebsratswahlen anstünden, antwortete sie: „Nein, es gibt bei uns keinen Betriebsrat. Wir verstehen uns als klassisches Familienunternehmen, in dem sich alle Mitarbeiter mit ihren Sorgen und Anliegen zunächst an ihren direkten Vorgesetzten wenden können. Und dann kann sich jeder Mitarbeiter auch einen Termin bei der Geschäftsführung geben lassen.“ Die Zeitung hakte nach „Kommen Arbeiter wirklich zu Ihnen, Frau Storz, wenn’s klemmt?“ „Natürlich gibt es bei den Mitarbeitern eine gewisse Hürde, in meinem Sekretariat nach einem Termin zu fragen“, sagt sie.“ Die nächste unbequeme Frage: „Wie würden Sie reagieren, wenn in Ihrem Haus ein Betriebsrat gegründet würde?“ beantwortet sie wohl nicht ganz der Wahrheit entsprechend: „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“
Dieser Verdacht drängt sich aber geradezu auf. Beschäftigte haben schon andere Erfahrungen gemacht, ist zu hören. Die Stimmung im Betrieb sei nicht die Beste, derzeit aber besonders angespannt. Wie vor kurzem bekannt wurde, hat das Unternehmen Karl Storz seine interne Transportlogistik für Messen und Veranstaltungen ausgelagert. Betroffen sind laut Unternehmen 19 Fahrer. Den Fahrern wurde ausgerechnet am 1. Mai 2017 der Zugang zum Logistikzentrum von Karl Storz im Gewerbepark Take-off in Neuhausen ob Eck (ihrem bisherigen Arbeitsplatz) versperrt. So wurden sie über Nacht vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Kollegen sprechen in diesem Zusammenhang von einer undurchsichtigen Aktion. Auf Nachfrage der Lokalpresse erklärte das Unternehmen in Orwellscher Diktion, dass sich Karl Storz „mit der Wirkung Ende April dafür entschieden hat, die bisher intern ausgeführten Transportdienstleistungen in einem geordneten Betriebsübergang an die Firma 2M Logistics zu übergeben.“
Spekulationen, dass dieser Schritt aufgrund von zurückliegenden Auseinandersetzungen mit Teilen der Fahrer und der Leitung des Logistikzentrums erfolgt sei, wies das Unternehmen „mit aller Deutlichkeit zurück“. Das glaube wer will. Adolf Weber, Sprecher Betriebsräte Heuberg, Thomas Maile, katholische Betriebsseelsorge Tuttlingen, und Hans-Peter Menger, DGB Südbaden Geschäftsstelle Tuttlingen, tun es nicht und haben sich deshalb vor ein paar Tagen mit einer öffentlichen Stellungnahme zu Wort gemeldet: „In jeder Schulklasse gibt es einen Klassensprecher. Jede Fußballmannschaft hat einen Mannschaftssprecher. Nur in vielen Betrieben ist es noch nicht selbstverständlich, dass es eine Arbeitnehmervertretung, sprich einen Betriebsrat, gibt. Obwohl dies in unserem Staat eigentlich ausdrücklich so vorgesehen ist.“ Und weiter „Nach unserem Kenntnisstand gibt es bei der Firma Karl Storz keinen Betriebsrat. Denn nur mit einem Betriebsrat können Betriebsvereinbarungen zum Arbeitsplatzerhalt abgeschlossen werden. Nur mit einem Betriebsrat kann bei drohenden Entlassungen ein Interessensausgleich und Sozialplan ausgehandelt werden.“ Also her damit, warum noch warten!