Aufschrei im Bellizistenlager: Außenministerin Baerbock auf Abwegen? Als im September in der UNO über eine Resolution abgestimmt wurde, die Israel auffordert, alle seit 1967 besetzten Gebiete für die Option eines palästinensischen Staates zu räumen, hatte sich Deutschland enthalten, anstatt mit Israel, den USA und ein paar notorischen Followern dagegen zu votieren. Auch wolle die Außenamtschefin deutsche Waffenlieferungen an Israel beschränken und habe bedenklich schnell den Stopp für deutsche Hilfsgelder an die UNRWA aufgehoben. Ein Sakrileg zudem ihre Einlassung, die Ermordung des Hisbollah-Führers Nasrallah hätte eine die Sicherheit Israels gefährdende Destabilisierung der Region bewirkt. Was ist da los? Die Ministerin im Stimmwechsel?
Falschsprech aus Unwissenheit oder im Affekt dürfte diesmal ausgeschlossen sein. Keimt Realismus? Beginnt man im Außenamt zu verstehen, dass Deutschlands Verantwortung für eine gesicherte Existenz Israels auch und gerade in der Ermahnung Tel Avivs bestehen muss, nach den Maßgaben der Vereinten Nationen einen dauerhaften Frieden mit seinen Nachbarn zu suchen, was freilich den Verzicht auf territorialen Expansionismus und jede Art quasi-kolonialer Unterdrückung der Palästinenser einschlösse? Dämmert es der grünen Ministerin, dass man sich in der Nähe des machtbesessenen Kriegsverbrechers Netanjahu, der die Terrorakte der Hamas vom 7. Oktober bar jeder Verhältnismäßigkeit mit Genozid beantwortet, ohne energischen Widerspruch zu üben, mitschuldig macht?
Zweifel ist angebracht, bedenkt man Baerbocks ideologisch motivierte Beihilfe zur Verlängerung der Scharmützel in der Ukraine. Ihre „Kriegserklärung“ an Russland und die Absicht, das größte Land der Erde zu „ruinieren“, sind nicht aus der Welt. Und fraglos weiß auch sie, dass es – wie es der CSU-Politiker Gauweiler auf der Friedenskundgebung am 3. Oktober in Berlin ausdrückte – „nicht richtig ist, die Schuld an der Vorgeschichte dieses Konflikts nur einer Seite anzulasten, weil dies nicht den Tatsachen entspricht“. Deutschland, das die Minsker Vereinbarungen nie erfüllen, sondern der Ukraine samt ihren Strippenziehern eine Rüstzeit für die militärische Explosion des zunächst kalten Stellvertreterkrieges verschaffen wollte, stände es gut zu Gesicht, nunmehr mit einer aufrichtigen diplomatischen Initiative zur Konfliktlösung beizutragen. Winfried Hermann, grüner Minister in Baden-Württemberg, der Deutschland nicht „kriegstüchtig“ sehen will, den bisherigen außenpolitischen Ansatz der Bundesregierung für gescheitert erklärt sowie Waffenlieferungen und Sanktionen des Westens für erfolglos, ja schädlich hält, plädiert vehement für einen Strategiewechsel. Jetzt müssten konsequent diplomatische Mittel eingesetzt werden, und so soufflierte er der Parteikollegin im Außenamt die aus seiner Sicht zu beachtenden Grundbedingungen: Sicherung der staatlichen Existenz der Ukraine, Anerkennung der russischen Sicherheitsinteressen, Offenhaltung des Status besetzter Gebiete, bis eine Verhandlungslösung geschaffen ist. („Berliner Zeitung“ vom 14. Oktober)
Der Journalist Moritz Eichhorn scheint mit seiner Beobachtung Recht zu haben, dass die alten „grünen Zaubersprüche“ nicht mehr funktionieren. In der Bevölkerung nicht, das sagen unter anderem die ostdeutschen Wahlergebnisse. Aber auch nicht mehr im Habeck-geprägten Überbau der Öko-Partei? Signalisieren das die Führungsrücktritte und die Abnabelungen der „Grünen Jugend“? Wird gar Rückbesinnung auf ihre Gründungsversprechen bei den Grünen Mode? Eine Frage an die nahe Zukunft. Abkehr vom Bellizistenchor wäre nicht nur eine Hommage an den noblen Widerspruchsgeist Antje Vollmers, sie wären ein Zugewinn für die Friedensbewegung, eine Stärkung der Vernunft in Zeiten apokalyptischer Bedrohung. Politiker, die noch immer Blutvergießen dem Verhandeln vorziehen, sollten wissen, dass die Geschichte Kriegstreibern nicht verzeiht.