Dschihadisten bekämpfen sich gegenseitig

Kein Frieden in Syrien

Von Manfred Ziegler

Von Yarmouk im Dezember 2015 über Ost-Aleppo bis Ghouta im April 2018 wurden zehntausende, wahrscheinlich über 100 000 dschihadistische Kämpfer, ihre Familien und weitere Zivilisten aus den Gebieten, in denen die syrische Armee die Kontrolle übernahm, in den Norden Syriens evakuiert. Das Ziel war in den meisten Fällen Idlib. Manche hatten Familie, bei der sie unterkommen konnten, anderen blieben nur Flüchtlingslager. Soweit dort internationale Organisationen die Kontrolle innehaben, hatten Bewaffnete dort häufig keinen Zutritt. Viele der Kämpfer wurden von ihren Gesinnungsgenossen aus dschihadistischen Organisationen und „Weißhelmen“ vor Ort aufgenommen.

Viele der Dschihadisten, die der Regierung unversöhnlich gegenüberstehen, haben ihre Heimat schon zu Beginn des Krieges verlassen, um an den Hotspots Syriens zu kämpfen, ob sie nun aus Tunesien, Libyen, Europa kamen oder aus anderen Gebieten Syriens. Sie tauchten in Städten und Ortschaften auf, schwer bewaffnet, und setzten die Bevölkerung unter Druck. Für sie ist die Evakuierung nach Idlib nur der vorerst letzte Schritt auf einem langen Weg, ein militärischer Rückzug. Viele kämpften gegen gute Bezahlung und haben sich nur deshalb auf die Evakuierung eingelassen, weil die ortsansässige Bevölkerung ganz deutlich gemacht hat, dass sie die Extremisten nicht länger dulden will.Und schließlich gibt es diejenigen, die aus ihren eigenen Gründen gegen die Regierung kämpften, verloren und dennoch keinen Modus Vivendi mit der Regierung finden können. Für sie ist der Abzug nach Idlib wohl wirklich eine Katastrophe und das Ende ihrer Träume, gleich, ob es darin um Rache, Reichtum oder Religion ging.

Seit einigen Jahren ist es erklärte Politik der syrischen Regierung, die Tür offen zu halten für alle, die aus dem bewaffneten Kampf aussteigen wollen. Das reicht von lokalen Waffenstillständen bis zur Amnestie für diejenigen Kämpfer, die ihre Angelegenheiten mit der Regierung klären wollen. Und so haben sich zehntausende Kämpfer in „Versöhnungsprozessen“ mit der Regierung arrangiert. Für die Anhänger der Regierung war das oft nicht einfach zu akzeptieren, aber auf Dauer hat es Stabilität und Sicherheit in weiten Gebieten Syriens ermöglicht. Diejenigen, die nach Idlib oder in den Norden Syriens abziehen wollten, haben dort keinen Frieden gefunden – falls sie ihn überhaupt gesucht haben.

Shami, einer von 36 000 Flüchtlingen, hatte in Ghouta als „Medien-Aktivist“ gearbeitet, ein Euphemismus für mediale Unterstützer der Dschihadisten. Er setzt seine Arbeit auch in Idlib fort. Gegenüber AFP erklärte er: „In Idlib fühle ich mich, als wäre ich im Himmel.“ Es ist ein zweifelhafter Himmel.

Immer wieder gibt es Kämpfe zwischen verfeindeten Gruppen von Dschihadisten wie Hai’at Tahrir schl-Sham (HTS), Jabhat Tahrir Souria (JTS) oder FSA. Zwischen Februar und April waren mehr als 70 Orte zwischen dschihadistischen Organisationen umkämpft.

Und der Kampf Russlands und der syrischen Armee gegen die Dschihadisten, insbesondere die international als terroristisch eingeschätzten Gruppen geht weiter. Die Türkei versucht inzwischen, ihren Einfluss in Idlib zu verstärken – auch für Verhandlungen mit Russland um die Provinz.

Der Rückzug der Dschihadisten nach Idlib wird nicht ihre letzte Station in diesem Krieg gewesen sein.

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"Kein Frieden in Syrien", UZ vom 8. Juni 2018



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