Kommunistische Parteien besuchten Israel und Palästina • Ein Bericht von Günter Pohl, 2. Teil

Kein Frieden in Sicht, aber eine dritte Intifada

Palästina wird von Präsident Mahmud Abbas geführt; Neuwahlen sind derzeit noch unsicher und angesichts der aktuellen Verschärfung der politischen Lage stehen sie eher in den Sternen, sagt man den Teilnehmer/innen der IMCWP-Delegation. In drei bis vier Monaten könne es zu Neuwahlen kommen, wenn Hamas zustimmt und Israel dann Hamas die Wahlteilnahme auch erlaubt. Nach allgemeiner Meinung ist eine Einheitsregierung der Palästinenser anzustreben. Nur 2006 und ein zweites Mal ebenso nur für wenige Monate im Jahr 2007 hatte es bis zum Bruch eine Einheitsregierung gegeben; und auch jetzt lehnt Hamas einen Regierungseintritt ab. Immer wieder gibt es Unstimmigkeiten zwischen der Fatah des verstorbenen PLO-Führers Jassir Arafat, die die stärkste Kraft in der PLO ist, und der islamistisch orientierten „Hamas“. Einen von Tony Blair vorgeschlagenen Flughafen für Gaza lehnt die Autonomiebehörde ab, solange es keinen konkreten Versöhnungsprozess gibt; nach Hamdallahs Worten unterstützt die in Gaza führende Hamas Blairs Vorschlag. Es zeigt sich, wie sinnvoll Israels Unterstützung für den Aufbau von Hamas war: ihr islamistisches Selbstverständnis trug zur Spaltung der palästinensischen Befreiungsbewegung bei, wenn auch Hamas nicht dem IS zuneigt. Ergebnis ist eine geschwächte Befreiungsbewegung. Überall im Nahen und Mittleren Osten sind religiös geprägte Bewegungen vom US-Imperialismus oder Israel (im Falle des IS von Saudi-Arabien) in-stalliert und/oder finanziert worden. Im Ergebnis wurden laizistisch geprägte Regime wie in Libyen oder dem Irak gestürzt; mit Syrien soll das letzte fallen und damit nebenbei Russlands Einfluss im Nahen und Mittleren Osten eindämmen.

Hamas gehört aber dennoch zu einem regelmäßigen, wöchentlichen Austausch der palästinensischen Parteien und Organisationen in und um die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), zu dem die IMCWP-Delegation in Ramallah eingeladen war. Darüber hinaus gehören dazu u. a. die Fatah, die Demokratische Befreiungsfront (DFLP), die Vereinte Demokratische Union (FIDA), die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die Allgemeine Frauenunion, die Palästinensische Nationale Initiative, die Palästinensische Volkspartei, die Avantgarde zur Befreiung Palästinas und die Arabische Befreiungsfront. Der aktuelle Koordinator des Treffens, Omar Shehade, sagt, dass zwei Drittel der Bevölkerung eine neue Intifada (dt: Aufstand) wollen. Auch die Mehrheit der Parteiführer sei dafür; neu werde sein, dass sie auch in Israel selbst von der dort lebenden palästinensischen Minderheit unterstützt und umgesetzt werde. 1987 sei man für Befreiung und Unabhängigkeit in die erste Intifada gegangen, 2000 ging es um die endliche Umsetzung der Oslo-Vereinbarungen. Die dritte Intifada werde nicht enden, bis ihre Ziele erreicht würden. Nun, mit der „extremsten und fundamentalistischsten Regierung, die Israel je hatte“, die Land konfisziere, weitere Siedlungen baue und Ostjerusalem besetzt halte, werde eine klar ethnische Aufteilung angestrebt, so Omar Shehade: „Netanjahu will einen jüdischen Staat zwischen Meer und Fluss“, also vom Mittelmeer bis Jordanien – in ganz Palästina.

Der FIDA-Vertreter wies darauf hin, dass die jetzt in der ersten Reihe kämpfenden aufständischen Jugendlichen die Generation nach Oslo sind. Auch sie setzten sich für Befreiung und Unabhängigkeit ein. Wie stark die Verwurzelung der heutigen Aktivistinnen und Aktivisten mit den traditionellen Organisationen ist (und damit auch deren Organisier- und Disziplinierbarkeit), wird durchaus unterschiedlich bewertet. Aber „alle nehmen teil, ob Frauen oder Studierende oder Arbeitende“, so die Vertreterin der Frauenunion. Und der DFLP-Repräsentant ist sicher, dass die sich anbahnende Intifada das Thema Palästina wieder auf die internationale Agenda setzen wird.

Das ist auch dringend geboten.

Das Konzept von zwei Staaten, das Friedenskräfte in der ganzen Welt als Lösung wollen, wird als „Zwei Staaten für zwei Völker“ mittlerweile auch von rechten Kräften unterbreitet. Nur ist es die Perversion der Idee: kürzlich hatten die britischen Konservativen im EU-Parlament zwar keine Mehrheit, aber viel Unterstützung für diesen Plan bekommen, der in ihrer Lesart ethnisch gesäuberte Staaten vorsieht – also den Hinauswurf aller Araber aus Israel. Für Zionisten von Rechts bis Mitte-Links eine schöne Vorstellung, aber für religiöse Fanatiker nicht genug – denn dieses Konzept würde immer noch einen palästinensischen Staat vorsehen. Wenn auch nur noch auf 22 Prozent der ursprünglichen Fläche, aber eben auf 22 Prozent des „Heiligen Lands“, das dem „ausgewählten Volk der Juden“ vorgesehen ist. Und dafür haben Netanjahu, Lieberman und andere insgeheim eine hundertprozentige Vorstellung.

Mit den Kommunist/inn/en Palästinas konnte die Delegation separat zusammentreffen. 1988 hatte sich aus der Palästinensischen Kommunistischen Partei (PCP) die Palästinensische Volkspartei (PPP) entwickelt; aber einige Genossinnen und Genossen machten diesen Weg nicht mit und hielten an ihrer Kommunistischen Partei fest. Beide Parteien sind heute Mitglieder des IMCWP und wurden neben der DFLP von der DKP eingeladen am 21. Parteitag teilzunehmen.

Die PPP empfing die Delegation mit ihrem Vorsitzenden Bassam Salhi. Drei Gründe sieht er für die seit Wochen verschärfte Situation mit mehreren Dutzend Toten: Israels Neubewertung des Zugangs zu den heiligen Stätten, namentlich des Tempelbergs; Palästinas verstärkte Aktivitäten in den Vereinten Nationen, wo nun die Flagge des Beobachterstatus gehisst wurde; das Fehlen einer politischen Vision seit den letzten Verhandlungen mit dem US-Außenminister John Kerry 2013. Die PPP ist für eine gemeinsame „Volkswiderstandsfront“, inner- und außerhalb der PLO; dabei gehe es nicht um militärischen, sondern um Volkswiderstand, so Genosse Salhi. Es gelte eine bessere Koordinierung in den beteiligten Gruppen zustande zu bringen, wenn man eine dritte Intifada erfolgreich gestalten wolle. Raketenangriffe lehnt die PPP ab, da sie Israel immer als Vorwand für Militäraktionen und Repression dienten. Wichtigstes Nahziel ist die Beendigung der Besatzung; dazu sei internationale Solidarität erforderlich.

Mit dem stellvertretenden Generalsekretär der Palästinensischen KP, Genossen Kadri, und weiteren Mitgliedern der Parteiführung ging es um eine Einschätzung der Möglichkeiten einer neuen Intifada und die Gründe für das Scheitern der Befreiung Palästinas. Die PCP sieht die Trennlinie nicht zwischen Fatah und Hamas, sondern zwischen Fatah und dem Volk verlaufen. Die Unterschrift unter das Oslo-Abkommen habe im Ergebnis eine zweite „Nakba“ (Katastrophe) für das palästinensische Volk gebracht. Die heutigen Aufständischen hätten mit den Parteien der PLO nichts mehr zu tun und sind nach Überzeugung der PCP Teil einer „schweigenden Mehrheit“. Israel und die Hamas bereiteten derzeit ein Abkommen vor, dessen wesentliches Ziel sei, die Auseinandersetzung „Israel-Palästina“ zu einer Auseinandersetzung „Juden-Moslems“ zu machen. Das wiederum deckt sich mit dem Konzept „Zwei Staaten für zwei Völker“.

Die Delegationsreise führte außer nach Ramallah auch nach Jerusalem, Nazareth und Tel Aviv. In der Knesset, dem israelischen Parlament, kam es zu einem Empfang durch die Chadash (Demokratische Front für Frieden und Gleichberechtigung), die seit den letzten Wahlen fünf Sitze innehat; drei davon werden von Mitgliedern der KP Israels besetzt. Dov Khenin, schon seit Jahren Mitglied des Abgeordnetenhauses, weist auf die gefährliche Politik Benjamin Netanjahus hin, wenn es um die Gründe für die derzeitige explosive Situation geht: die Siedlungen im Herzen eines zu gründenden Staats Palästina; die soziale Schlechterstellung der arabischen Minderheit; Unsicherheit und keine Aussicht auf Frieden.

Chadash ist zu den Wahlen in einer „Gemeinsamen Liste“ mit teils reaktionär-islamistischen arabischen Organisationen angetreten; die Zusammenarbeit ist nicht immer einfach. Grund war eine Erhöhung der Sperrfrist von 2,0 auf 3,25 Prozent – gemeinsam ist man nun drittstärkste Fraktion. Aida-Touma Sliman, Politbüro-Mitglied, sprach in der Knesset zum Misstrauensantrag gegen die Netanjahu-Regierung und nannte die „wahren Terroristen diese Regierenden, die auf Jugendliche schießen lassen. Sollen diese Verbrechen ungestraft bleiben?“ Natürlich fand der Antrag keine Mehrheit, aber auch in Israels Gesellschaft gibt es laute Stimmen der Vernunft und des Ausgleichs zwischen den Völkern.

In Nazareth führte der Generalsekretär der KP Israels, Adel Amer, die Hauptfelder der Politik seiner Partei aus: Frieden, Gleichheit und Klassenkampf. Seine Partei hat arabische und jüdische Mitglieder und tritt öffentlich mit gemischten Sprecher/inne/n auf. Die KPI ist in den Städten mit hohem palästinensischem Bevölkerungsanteil stärker, so auch in Nazareth.

„Es gibt allgemeine Angriffe auf Arbeiterrechte; aber bei Arbeitsunfällen sind Araber mehr betroffen“, macht der Generalsekretär auch nationale Benachteiligungen aus, von denen es eine ganze Reihe statistisch erfassbare gibt: die Arbeitslosigkeit liegt in Israel bei offiziell 5,3 Prozent (Araber 22 %, Juden 4 %); 65 Prozent der palästinensischen Frauen arbeiten nicht; 40 Prozent der akademischen palästinensischen Frauen sind arbeitslos, weitere 50 Prozent sind unterqualifiziert beschäftigt; das Durchschnittseinkommen beträgt 2 440 US-Dollar (für Arbeiter nur 1 500 US-Dollar) und ist bei der jüdischen Bevölkerung um 15 Prozent höher als bei der arabischen; 23 Prozent der israelischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze – für das Fünftel arabischer Bevölkerung Israels gilt das für 54 Prozent. Die Kinderarmut bei den einen beträgt 60, bei den anderen gerade 14 Prozent. Die sozialen Proteste des Jahres 2011, vor allem um Wohnungsnot und -preise, die Israel für ein paar Wochen ausnahmsweise mit anderem als dem Konflikt in die Weltpresse brachte, haben keinen Sieg davongetragen, aber das Kämpfen gezeigt. „Die Regierung übertüncht letztlich immer alles mit dem Konflikt mit den Palästinensern oder dem Iran“, sagt Genosse Amer.

Ob eine dritte Intifada erfolgreich sein könne? Nicht bewaffnet, sagt die KP Israels. 2000 war die zweite nach drei Wochen schon bewaffnet; das gibt Israel Vorwand für militärische Härte.

In allen Gesprächen mit politischen Vertretern kommt es zu Nachfragen bezüglich des vor zehn Jahren begonnenen BDS (Boykott, Kapitalabzug, Sanktionen). Nach unterschiedlichen Quellen sollen die bisherigen Verluste für Israel insgesamt acht Milliarden US-Dollar betragen. Die palästinensischen Vertreter sind für Boykottmaßnahmen gegen Israel („Der Boykott ist die Waffe unserer Freunde – unsere Waffe ist die Intifada“), allerdings sollten sie sich nach Meinung der meisten nur auf Produkte aus den besetzten Gebieten beziehen, die Israel als „Made in Israel“ exportiert. Die Delegationsteilnehmer aus Belgien und Portugal berichteten von Erfolgen der Kampagne in ihren Ländern; dass in Deutschland eine solche Kampagne angesichts der Geschichte schwierig vermittelbar wäre, weil sie medial als Antisemitismus ausgelegt würde, leuchtete den palästinensischen Gesprächspartnern durchaus ein. Andererseits sind auch nicht alle dafür: Gerade israelische Linke, so vor allem auch Mitglieder der Kommunistischen Partei Israels, fragen nach dem Sinn der Kampagne, die hauptsächlich Agrarprodukte meint, wohingegen die Hauptexporterlöse Israels Hochtechnologie und Militärgüter seien. Die Gesellschaft rücke zudem angesichts einer solchen „Bedrohung von außen“ eher zusammen; zum Nachteil der Palästinenser.

Diese Debatte wurde auch bei einem Zusammentreffen mit Mitgliedern der israelischen Friedensbewegung in Tel Aviv geführt. Daran nahmen Vertreter von Gush Shalom (Friedensblock), dem „Friedenszirkel Familien“ (Angehörige von Opfern des Konflikts), einer Kriegsdienstverweigererorganisation und von KPI und Kommunistischer Jugend teil. Die Friedensbewegung sieht sich derzeit deutlich geschwächt. Eigentlich geschieht das immer, so ein Aktivist, wenn der gemäßigte zionistische Block, also die Arbeitspartei, den Schutz des Staats Israel durch Angriffe von Palästinensern in Gefahr sieht, so ungleich verteilt die Waffen auch sein mögen. Selbst als Regierung, wie unter Ehud Barak, der in Camp David im Jahr 2000 verlautete: „Arafat will sich nicht bewegen“, als man der PLO völlig inakzeptable Vorschläge gemacht hatte.

Das Problem der Friedensbewegung in einem Land, welches seine Staatsgrenzen bewusst nie festgelegt hat, weil es auf religiösen Überzeugungen wurzelt, ist grundsätzlicher Art. Israel kann keinen Frieden machen, solange Kräfte die Oberhand haben, die keinen Araber im Gebiet Palästinas sehen wollen. Schon gar nicht einen Staat der Palästinenser.

Der erste Teil des Berichts erschien in der UZ Nr. 43 vom 23. Oktober

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"Kein Frieden in Sicht, aber eine dritte Intifada", UZ vom 30. Oktober 2015



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