Thyssenkrupp besiegelt Fusion mit Tata Steel

Kein Freudentag für Stahlwerker

Von Willi Hendricks

Mit der Unterzeichnung der Stahlfusion von Thyssenkrupp (TKS) und Tata am 29. Juni wird das neue Gemeinschaftsunternehmen neben ArcelorMittal Europe zum zweitgrößten Stahlproduzenten Europas. Der Konzern zählt 48 000 Arbeiter und Angestellte, 27 000 bei TKS und 21 000 bei Tata.

Als ihnen Mitte Juni dieses Jahres ein internes Schreiben des Konzernchefs Heinrich Hiesinger ins Haus flatterte, war es eine große Überraschung für die Stahlwerker von Thyssenkrupp. Hiesinger drängt auf Zustimmung der Belegschaft für die mit dem indischen Großkonzern Tata Steel vereinbarte Stahlfusion. „Mit unserer strategischen Weiterentwicklung verfolgen wir das Ziel, unser Unternehmen zu einem leistungsstarken Industriekonzern umzubauen“, lautet seine Botschaft. Das bedeutet die Aufgabe der Stahlsparte bei TKS. Der Konzern will sich von dem schwankungsanfälligen Stahlgeschäft trennen und stärker auf Industriegütergeschäfte wie Aufzüge oder Bestandteile für die Autoindustrie setzen, nicht zuletzt auf profitablere Rüstungsgeschäfte.

Hatte Hiesinger bislang mit der Belegschaft Katz und Maus gespielt und sie über ihre Zukunft bewusst im Ungewissen gehalten, so wählte er nun die direkte Ansprache. Die Gründe liegen auf der Hand: Verschiedene Großaktionäre und Finanzinvestoren fordern seit geraumer Zeit die Zerschlagung des Konzerns, um die wertvollen Einzelteile schneller zu Geld machen zu können, bei geringerer Belegschaftsstärke versteht sich.

Besonders hoch ist der Druck, den der US-Hedgefonds Elliott mit seinem Begründer Paul Singer erzeugt. Singer hat weithin den Ruf eines besonders gierigen Ausbeuters. Vor einem Jahr erwarb er ein größeres Aktienpaket an Thyssenkrupp. Singer gibt vor, Fürsprecher allgemeiner Aktionärsinteressen zu sein, in Wahrheit setzt er auf Eigennutz und prall gefüllte Taschen.

Vorbehaltlose Unterstützung bekommt Elliot vom schwedischen Finanzinvestor Cevian, der mit rund 18 Prozent der nach der Krupp-Stiftung zweitgrößte Einzelaktionär ist. In einem Interview im Januar 2018 mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ forderte Cevian-Chef Lars Förberg die Aufspaltung des Konzerns. Die Stahlhochzeit mit Tata soll demnach nur der Anfang sein. „Thyssen entwickelt sich noch nicht so, wie wir uns das vorstellen“, sagte er damals. „Die gesamte Struktur des Unternehmens ist zu komplex.“ Cevian macht sich seit längerem für eine Aufspaltung stark und fordert vorzugsweise eine höhere Gewinnspanne. Elliot wie Cevian werden weiterhin dieses Ziel verfolgen.

Noch auf der am 21. Juni erfolgten Betriebsversammlung in Duisburg, an der 3 500 Kolleginnen und Kollegen teilnahmen, wurden Bedenken laut. Die Zugeständnisse der Konzernleitung für eine Absegnung seitens der Stahlkocher und deren Interessenvertreter wurden als unzulänglich bezeichnet. Der neu gewählte Gesamtbetriebsratsvorsitzender Tekin Nasikkol warnte vor Schnellschüssen: „Wir benötigen kein Angebot fünf Minuten vor Toresschluss“, mahnte er und legte dem Vorstandvorsitzenden Heinrich Hiesinger nahe, lieber auf Sorgfalt statt auf Schnelligkeit zu setzen. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Joint Ventures sei erst zu 50 bis 60 Prozent gesichert.

Umso erstaunlicher, dass binnen 14 Tagen große Übereinstimmung zustande kam. Vom Betriebsrat Nasikkol heißt es nun: „Ich bin froh, dass die Beschäftigten nach einer ewig langen Zeit der Unsicherheit nun wissen, wohin die Reise geht.“ Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck wird deutlicher: „Die Sozialpartnerschaft von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite hat sich am Ende wieder einmal bewährt.“ Konzernchef Hiesinger war dann auch guter Dinge: „Mit dem Joint Venture sichern wir uns langfristig eine wettbewerbsfähige Position in der europäischen Stahlindustrie.“

Kapital und Klerus wie stets im Geiste vereint. Entgegen besseren Wissens verstieg Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) sich zu der kühnen Behauptung: „Das ist ein guter Tag für den Stahl in Duisburg, die Kollegen von Thyssenkrupp und ihre Familien.“

Diese aber sind weniger begeistert als der OB. Einer Umfrage am 2. Juli vor dem Werkstor 1 von Thyssenkrupp in Duisburg Bruckhausen zufolge sind längst nicht alle Kollegen mit dem Ergebnis zufrieden. Sie sind misstrauisch gegenüber Zusagen des Konzerns. „Die Ängste sind auf jeden Fall nach wie vor da“, bestätigte z. B. der Stahlwerker Kirstein, der seit 48 Jahren bei TKS beschäftigt ist. Einige Kollegen machen sich Sorgen, dass die Jüngeren „auf lange Sicht“ Probleme bekommen werden, viele andere winken resigniert ab, sie enthalten sich jedes Kommentars. Andere wiederum sind überzeugt, dass die Verlagerung der Firmenzen­trale von Duisburg in die Niederlande eher Nachteile bringt.

Sicher ist dagegen, dass die Montanmitbestimmung mit der Ansiedlung des Gemeinschaftsunternehmens im Nachbarland ausgehöhlt wird, weil sie dort keine Gültigkeit hat. Und ob die Beschäftigungsgarantie bis zum 30. September 2026 Bestand haben wird, ist fraglich.

Bereits angekündigt ist, dass Thyssenkrupp den neuen Stahlkonzern gemeinsam mit Tata an die Börse bringen will. Kein gutes Zeichen für die Beibehaltung aller Arbeitsplätze. Der Thyssenkrupp-Vorstand sagte unterdessen zu, sechs Jahre beteiligt zu bleiben. Zwar wollen beide Partner gemeinsam die Mehrheit halten, aber es wird jetzt schon darauf hingewiesen, dass die Gewichte sich verschieben könnten. Die Ungewissheit für die Stahlkocher bleibt ein Dauerzustand. Darüber hinaus entfallen bis 2026 etliche Stahlstandorte im Lande. Bestätigt ist der Abbau von 2 000 Arbeitsplätzen bei Thyssenkrupp, ebenso so viele sollen es bei Tata Steel sein.

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"Kein Freudentag für Stahlwerker", UZ vom 6. Juli 2018



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