Labour profitiert von der Niederlage der Tories

Kein Erdrutschsieg

Von einem „landslide victory“ – einem Erdrutschsieg, zumal einem historischen – ist die Rede. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Britannien konnte die sozialdemokratische Labour Party ihre Sitze im Unterhaus auf 412 fast verdoppeln, die konservativen Tories verloren 250 Sitze und haben mit 121 so wenig Mandatsträger wie noch nie. Sie gaben Wahlkreise nicht nur an Labour ab, auch Liberaldemokraten (bisher mit acht Sitzen vertreten) bringen es seit Donnerstag vergangener Woche auf 71 Abgeordnete. Die rechte „Reform UK“ von Nigel Farage wird künftig vier Abgeordnete haben.

Ein Erdrutschsieg für Labour. Wirklich? Nach 14 Jahren Tory-Regierung mit massiver Einschränkung der Arbeiterrechte, einem heruntergewirtschafteten und chronisch unterfinanzierten Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) und einer Lebenshaltungskostenkrise, die die Britinnen und Briten in Scharen zu den Tafeln treibt, um am Ende des Monats überhaupt noch essen zu können, wäre das nicht verwunderlich.

Doch das britische Mehrheitswahlrecht, in dem nur die Gewinner der Wahlkreise ins Parlament einziehen, täuscht. So mögen „Reform UK“ nur vier der 650 Sitze im britischen Unterhaus haben, ihr Stimmanteil von 14, 3 Prozent macht sie aber zur drittstärksten Kraft nach Labour und Tories. Und auch der Sieg von Labour ist nicht das, was er scheint.

Magere 1,6 Prozent der Stimmen hat Labour hinzugewonnen – bei einem gleichzeitigen Rückgang der Wahlbeteiligung um 7,6 Prozent auf 60 Prozent. Real hat Labour im Vergleich zu den Wahlen 2019 und 2017 600.000 beziehungsweise mehr als drei Millionen Stimmen verloren. Der Gewinn von Labour ist eigentlich nur die Niederlage der Tories.

Von der Labour-Party unter Keir Starmer ist kein Politikwechsel zu erwarten. Zwar erklärte der Generalsekretär des Trade Union Congress (TUC), Paul Nowak, dass „die Gewerkschaftsbewegung bereit ist, die neue Regierung bei der Umsetzung von Labours ‚New Deal for Working People‘ zu unterstützen“, deutete damit aber gleichzeitig an, dass die Gewerkschaften eine klare Zusage für die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten erwarten. Unter den Tories gab es Versuche, beispielsweise das Streikrecht massiv einzuschränken – Keir Starmer hatte sich in dieser Frage nicht mit Ruhm bekleckert, als er Labour-Abgeordnete öffentlich dafür rügte, Streikposten besucht zu haben. Die Generalsekretärin der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes PCS, Fran Heathcote, forderte ihn nun auf, mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten, „um den endemischen Niedriglöhnen, der Arbeitsplatzunsicherheit, der Privatisierung und den Tory-Angriffen auf die Renten im öffentlichen Dienst ein Ende zu setzen“.

Woher eine Labour-Regierung unter Starmer das Geld dafür nehmen soll, benannte Heathcote nicht. Denn genauso wenig wie die Tories ist Labour bereit, an den Profiten der Reichen zu kratzen. Zudem ist Starmer ein glühender Verteidiger der Kriege gegen Gaza und in der Ukraine. Mit der Unterstützung des Völkermords durch Israel sichert er britischen Rüstungskonzernen Profite zu, in der Ukraine stemmt er sich vehement gegen Friedensverhandlungen und hat bereits im Wahlkampf angekündigt, die Unterstützung der Ukraine fortzusetzen. Und jeder Cent, der in die Ukraine fließt, wird nicht nur den Krieg verlängern, sondern er wird auch fehlen, um die dringendsten Probleme in Britannien anzugehen: die immer weiter steigende Armut, die unterbezahlten Berufsgruppen wie Lehrerinnen und Lehrer und das immer weiter zerfallende NHS.

Daran wird auch der geschasste Ex-Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn nichts ändern, der als unabhängiger Kandidat im Londoner Wahlkreis Islington Nord seinen Sitz verteidigte.

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"Kein Erdrutschsieg", UZ vom 12. Juli 2024



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