Es tut gut, durch den Bildband zu blättern und die Fotos vom Wald anzusehen – und löst gleichzeitig eine Menge Schmerz und Sehnsucht aus. Björn Kietzmann hat die vielleicht wertvollsten, und auch die schmerzhaftsten Augenblicke aus dem Kampf um den Dannenröder Wald festgehalten.
Der Dannenröder Forst – von den Aktivistinnen und Aktivisten auch liebevoll „Danni“ genannt – das ist der Wald, in dem wir monatelang gebaut, gekocht, geklettert, gekämpft und gelebt haben. Um den Weiterbau der A49 zu verhindern, wurde der hessische Wald bereits im Oktober 2019 besetzt. Die Besetzerinnen und Besetzer waren der Überzeugung, dass es nicht zeitgemäß ist, in Zeiten der Klimakrise einen gesunden Wald für ein Stück Autobahn zu vernichten. Während immer wieder über das Wald- und Artensterben durch den Klimawandel berichtet wird, sollten in Hessen riesige Waldflächen gerodet werden. Außerdem sollte das Teilstück der A49 quer durch ein Naturschutz- und Trinkwasserschutzgebiet führen. Neben dem Dannenröder Wald sollten auch Teile der umliegenden Wälder, des Herrenwaldes und des Maulbacher Waldes, gerodet werden. Zwischen Oktober 2019 und Oktober 2020 stand die Besetzung des Waldes aber so stabil, dass in dieser Rodungssaison nicht wie geplant gefällt werden konnte.
Februar 2021. Während ich das hier schreibe, ist der Dannenröder Wald bereits seit letztem Dezember geräumt. Monatelang hatte die Polizei mit einem Großaufgebot – bis zum 20 Hundertschaften täglich – die Baumhäuser und Barrikaden im Wald geräumt und direkt darauf die Bäume fällen lassen. Stück für Stück hatte die Staatsmacht die Barrios, die Baumhäuserdörfer, zerstört. Immer wieder kam es zu Unfällen, weil die Polizei fahrlässig und schnell handelte – und zu Polizeigewalt. Aktivistinnen und Aktivisten mussten sich entwürdigenden Maßnahmen unterziehen, sie wurden in Gewahrsam genommen, ihnen wurden Schlafsäcke und Decken weggenommen – nachts, bei Minustemperaturen. Alles, was mensch zum Leben im Wald brauchte, wurde konfisziert. Bis zuletzt stand das Barrio „Oben“ in der Mitte des Waldes. In „Oben“ war auch ich zu Hause. Als im Dezember die letzten Bäume in „Oben“ fallen, haben die Maschinen des Kapitalismus schon eine riesige Schneise in den Wald geschlagen. Von den Barrios, von den Bäumen, in denen wir gelebt haben, ist nichts mehr übrig.
An den Überzeugungen der Aktivistinnen und Aktivisten ändert sich nichts: der Dannenröder Wald ist längst zu einem Symbol der Umweltbewegung geworden. Auch wenn dieser Teil des Waldes nun geräumt und gerodet ist: es gibt viele Wälder, die durch ähnliche Autobahn- oder Neubausiedlungsprojekte gefährdet sind. Es wird nie wieder leicht sein, einen Wald für ein überholtes, kapitalistisches Projekt zu roden – da sind wir uns sicher. Wir werden den Kampf um den Dannenröder Wald nie vergessen und uns auch immer wieder an die schönen Tage erinnern; an die Tage, an denen wir gebaut, geklettert, gekämpft und gelebt haben.
Björn Kietzmann, Kein Baum ist egal Bildband, 120 Seiten mit Erläuterungen, gebundene Ausgabe 35 Euro, Softpaper 16,99 Euro Zu beziehen: photo@kietzmann.eu oder kietzmann-fotos.de
Björn Kietzmann ist freier Journalist. Er hat Politik- und Sozialwissenschaften in Wuppertal, Jena und Berlin studiert. Viele seiner Arbeiten beschäftigen sich mit gesellschaftlichen, politischen und sozialen Themen. Meistens, aber nicht ausschließlich, nutzt er die Fotografie als journalistische Ausdrucksform. Seine Bilder sind in vielen nationalen und internationalen Medien zu sehen, auch in der UZ.