Am 14. September, dem Tag des EU-China-Gipfels, trat die Kovorsitzende der Partei „Die Linke“, Katja Kipping, in Berlin vor die Presse. Anlass war die Vorstellung eines „Fahrplans für den Corona-Winter“, der Vorschläge für eine „vorausschauende“ und „soziales Leben ermöglichende“ Politik enthält. Die Parteichefin nutzte die Gelegenheit, sich zu anderen Themen zu äußern. Migranten: „Horst Seehofer ist mitverantwortlich für die jetzige Katastrophe.“ Belarus: „Wir stehen dort an der Seite der demokratischen Opposition.“ Kein Wort allerdings zu deren Privatisierungsforderungen. Dabei wäre das ein gutes Stichwort: In Berlin machen „Linke“-Senatoren gerade mit bei der Zerschlagung der S-Bahn. Als im August dem Immobilienspekulanten und Besitzer von Galeria Karstadt Kaufhof, René Benko, Baugenehmigungen im Wert von vielen Hundert Millionen zugeschanzt wurden, segnete das auch „Linke“-Bürgermeister Klaus Lederer ab. Die Menschenrechte der Beschäftigten, insbesondere die angebliche Unantastbarkeit ihrer Würde, verschwanden hinter der Pflicht zur Reichtumsvermehrung. Menschen sind Verhandlungsmasse.
Kipping kommentierte das magere Ergebnis ihrer Partei bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen: „Ein Warnsignal für uns.“ Und verabreichte einen Seitenhieb: Schuld seien auch „Spekulationen“ unter der Überschrift „Wem nützt es?“ zum Fall Nawalny gewesen. Die hätten der Partei bei den Wahlen „nicht genützt“. Gegeben hatte es von Sevim Dagdelen und Gregor Gysi lediglich Forderungen nach Aufklärung.
Da aber von Nawalny über Belarus bis Hongkong und Uiguren Menschenrechtsverletzungen nur außerhalb bundesdeutscher Grenzen stattfinden, gab Katja Kipping der Kanzlerin schließlich mit auf den Weg zum China-Gespräch: „Ich hoffe, dass beim Gipfel zwischen EU und China nicht nur das Thema Marktzugang angesprochen wird, sondern dass es zuallererst um die Menschenrechte geht.“ Die „Linke“-Chefin schloss mit „zuallererst“ rhetorisch fast zum „sofort, unverzüglich“ des SED-Politbüromitglieds Günter Schabowski auf. Er löste mit den beiden Wörtern am 9. November 1989 einen Ansturm auf die DDR-Grenzübergänge aus. Diesmal verpuffte das Losungswort. Angela Merkel sprach später von „Berührungspunkten“ bei Menschenrechten, Massenbewegungen blieben aus. Was aber in Belarus und Hongkong gut klappt und beim Mitregieren in Berlin und anderswo nicht so richtig „zuallererst“ ist: Kippings Doppelmaßstab ist gefunden.