Andres Veiels „Riefenstahl“ jetzt im Kino

Kapitel erledigt?

Leni Riefenstahl? Zuletzt war da 2003 ein vernehmliches Rauschen in der Medienwelt, als die berühmt-umstrittene Filmregisseurin im hohen Alter von 101 Jahren in ihrem Haus in Pöcking starb, gefeiert als große Film- und Fotokünstlerin, aber auch umstritten wegen ihrer kritiklosen Nähe zu den Größen des Naziregimes. Ihre ganze Biografie war gezeichnet von Affären, Skandalen und Prozessen, in denen sie sich als uneinsichtige, aber streitbare Verfechterin einer großen Lüge erwies: der Lebenslüge von der unpolitischen, naiven Künsterin, deren Ruhm durch die ohnehin lächerlich gnädige Entnazifizierung der Nachkriegs-BRD allenfalls Kratzer erlitten hatte.

Dass der Dokumentarfilmer An-dres Veiel („Black Box BRD“, „Die Spielwütigen“ und zuletzt „Beuys“) sich nun auch noch in die Reihe der Riefenstahl-Filmer einreiht, ist nicht überflüssig, sondern in mehrfacher Hinsicht ein Glücksfall. Zum einen, weil inzwischen Riefenstahls gigantischer Nachlass zugänglich ist. Zweitens, weil dessen Auswertung an die renommierte Fernsehjournalistin Sandra Maischberger fiel, die im Presseinterview immerhin bekennt, mit einem Riefenstahl-Interview 2003 schon einmal an ihrer Partnerin „gescheitert“ zu sein. Darum fiel ihre Wahl des Regisseurs auf Veiel, der zuletzt mit „Beuys“ seine Sensibilität und sein Geschick im Umgang mit großer Materialfülle bewiesen hatte. Mit einem ausgesuchten Team (drei Editoren, einem Bildgestalter und anderen Spezialisten) ging es an die vierjährige Titanenarbeit an einem Werk, das nach dem großen Festivalerfolg in Venedig nun in die Kinos kommt.

Was ist so Besonderes an „Riefenstahl“? Neben dem schlichten, unprätentiösen Titel vor allem schon der ungewöhnliche Umfang des verfügbaren Materials: 700 Kisten voll Filmen, Prozessakten, Korrespondenz et cetera. Frühere Versuche, sich dem Phänomen Riefenstahl zu nähern, setzten auf reißerische Titel, wie man sie bei Ray Müllers dreistündigem „Die Macht der Bilder – Leni Riefenstahl“ von 1973 in Erinnerung hat. Der hatte mit seiner journalistischen, verhörähnlichen Fragetechnik die hartnäckige Selbstverteidigung der schon betagten Riefenstahl nicht wirklich durchbrechen können, die bis an ihr Ende ihre Lebenslüge war: „Ich bin Künstlerin, keine Politikerin, und von den Taten der Nazis habe ich nichts gewusst.“

So müßig Ray Müllers Bekehrungsversuch bei der Lebenden war, so dreimal müßig müsste er bei der Toten sein. Darum verschwendet Veiel keinen Gedanken darauf, in der Masse des jetzt verfügbaren Materials könnten sich jene Beweise finden, die seinen Vorgängern zum angestrebten „Blattschuss“ fehlten. Und er zieht daraus die rationale Konsequenz: Sein Zielpublikum sind nicht die unbekehrbaren Riefenstahlfans noch die Historiker, die eine ungeklärte Akte endlich schließen wollen, sondern die (damals wie heute!) zahlreichen Fans und Verehrer der rassistischen Ideologie. Ihnen liefert Veiel neben grotesk lächerlich wirkenden Aufmarschbildern aller Zeiten und Länder die bekannten Bilder aus Rostock-Lichtenhagen 1992 und – als emotionaler Höhepunkt des ganzen Films – eine Episode von 1976, die erst aus dem Nachlass ihre Bedeutung erhält. Da besteht Riefenstahl als Gast der populären Talkshow „Je später der Abend“ den Streit mit der Gewerkschafterin Elfriede Kretschmar wenig glanzvoll, wird aber durch die Flut zustimmender Zuschaueranrufe aus rechten Kreisen „rehabilitiert“ – die sie natürlich penibel gesammelt und aufbewahrt hat. Dass darin an einer Stelle vernehmlich die Beschimpfung der BRD als „Scheißstaat“ fällt, wird der Angerufenen Balsam für ihre braune Seele gewesen sein.

Doch sie gibt nicht auf. Während sie daheim an allen Fronten mit wechselndem Erfolg ihre „Verfolger“ niederkämpft und Prozesse um die Rechte an ihren Filmen führt, entdeckt die leidenschaftliche Fotografin Ende der 1960er Jahre in Afrika ein neues Tätigkeitsfeld: Vor allem die Nuba im Sudan, groß gewachsene, athletische Männer, haben Riefenstahl in Bann geschlagen. Die bereitwillig Mitspielenden entsprechen zwar ihrem diffusen Schönheitsideal, passen aber nicht zur faschistischen Ideologie der weißen Herrenrasse. Doch der Regisseurin der Olympia- und Reichstagsfilme nimmt man solche Widersprüche nicht übel. Ihre Fotobände (u. a. „Die Nuba: Menschen von einem anderen Stern“ (sic!)) lassen sich unter dem Label „Kunst“ ideologiefrei bestens vermarkten. Ähnlich erfolgreich sind ihre Bücher über die Wunderwelt der Tiefsee, die sie auf Tauchtouren entdeckt.

Leni Riefenstahl war, und das bedarf nach Veiels Film nun wirklich keines Beweises mehr, in allen ihren Lebensphasen eine in der Wolle gefärbte Rassistin und Faschistin, unzugänglich jeder Kritik an ihr und erst recht an ihren politischen Idolen. Doch an Veiel und seine Mitarbeiter bleibt die Frage: Hätte man mit der ungewohnten Materialfülle nicht noch kritischer umgehen, nicht noch straffer auswählen sollen? Ist ein so langes, so abenteuerliches Leben nicht zu viel für einen Film? Ist das Selbstporträt mit Handspiegel, bei dem Riefenthal die Lichtsetzung korrigiert, Beleg falscher Gesinnung oder doch nur Zeugnis von Eitelkeit? Und darf man dem Rechercheteam den Stolz über solche „Fundstücke“ verweigern?

Streit und Prozesse hin und her – Riefenstahl war Zeit ihres Lebens von Berlin bis in die Tiefsee bestens im Geschäft. Aber der Kummer über die Entwicklung in Deutschland, in ihres Führers Deutschland, plagte sie auch weiter. Immerhin hat sie, wie sich nun den Entwürfen zu ihren Memoiren entnehmen lässt, zu dieser Zeit die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass Deutschland, also die BRD mit strammem Antikommunismus und geduldeten NSDAP-Nachfolgern (NPD u. a.) einst zu alter Größe und Moral wieder erstehen würde. Und dies ist bei der alten Dame durchaus mehr als eine vage Hoffnung. Sollte der „unpolitischen, naiven Künstlerin“ hier noch eine neue Rolle zuwachsen – als Wahrsagerin?

Riefenstahl
Dokumentarfilm
Regie: Andres Veiel
Im Kino

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"Kapitel erledigt?", UZ vom 1. November 2024



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