Kapitalistische Zauberformel

Stefan Kühner über „CO2-Bepreisung“

Angebot und Nachfrage – das ist die Zauberformel, die die Meinungsführer der herrschenden Parteien und ihre Vordenker in der Politikberatung nahezu besoffen zu machen scheint. Wir wollen die klimaschädigenden Emissionen reduzieren? Also machen wir einfach alles, was CO2 ausstößt, teurer. Die Emissionen verringern sich – „Hokuspokus“ – wie von selbst. Bei den Befürwortern der „Bepreisung“ von CO2 hat bislang keiner einen Nachweis vorgelegt, dass dies funktioniert. Und keines der Mainstream-Medien hat bislang die Befürworter darauf festgenagelt, solch einen Nachweis zu führen. Selbst wenn es eine Wirkung durch die Preisverteuerung von CO2 geben sollte, wie groß ist sie denn?

Die im Bundestag vertretene Politik sieht sich im Schulterschluss mit Wirtschaft und Wissenschaft. Als Wissenschaft gilt das Potsdamer Institut für Klimaforschung, eine große Forschungseinrichtung der Regierung. Bundeskanzlerin Merkel hatte sich Mitte Juni dort Rat der Forscher eingeholt: „(E)s war ein wirklicher Informationsbesuch der Kanzlerin in unserem Institut. Sie hat wichtige Fragen gestellt, es war ein intensives Gespräch.“ Thema war auch die „CO2-Bepreisung“, kann man auf der Homepage des Instituts lesen.

Die Wirtschaft argumentiert „wissenschaftlich“, mit ihren sogenannten „Wirtschaftsweisen“. Rechtzeitig zur Klimaschutzdebatte des Bundeskabinetts übergaben sie ein Gutachten. Dort plädierten sie dafür, „dass CO2-Emissionen über alle Sektoren, d. h. nicht nur Strom, sondern zusätzlich nun auch (Heiz-)Wärme und Treibstoffe einen Preis erhalten sollen. Ob dies technisch über eine Steuer oder einen Emissionshandel ausgestaltet wird, ist danach eher zweitrangig.“

Zweitrangig ist der Wirtschaft und der von ihnen gekaufte Politik nicht nur die Form, wie den Verbrauchern die Lasten aufgebürdet werden. Zweitrangig ist das gesamte Thema, denn erstrangig ist der Profit. „Der BDI will eine Energie- und Klimapolitik aus einem Guss, mit möglichst viel Markt und klaren, verlässlichen Rahmenbedingungen anstatt immer mehr staatlicher Regulierung.“ Das vom Kapital erfundene und tausendfach erzählte Märchen von Angebot und Nachfrage wird hier in der Variante erzählt: Wenn der Konsument für den CO2-Anteil mehr bezahlen muss, dann wird dieser nicht mehr nachgefragt. Dass dies klappt ist zu bezweifeln.

Wo kann eine normale Familie im der Mietwohnung Heizkosten „einsparen“? Um wie viele Grillwürste soll diese Familie den Fleischkonsum senken, um eine spätere Prämie zu erhalten? Auf wie viele Flugreisen kann die alleinerziehende Mutter mit zwei Kinder denn verzichten, wenn sie sich ohnedies keinen Urlaub leisten kann? Die CO2-Steuer wird den ärmsten Teil der Bevölkerung am härtesten treffen.

Wenn von „Rückzahlung“ die Rede ist, dann wird auf eine positive Binnennachfrage hingewiesen zum Beispiel ein „zweites Weihnachtsgeld“. Sind die dann gekauften Geschenke etwa CO2-neutral? Und glaubt auch nur ein vernünftig denkender Mensch, dass jemand, dem im Januar gerade kalt ist, den Thermostat herunterregelt, um später ein paar Euro zurückzubekommen?

Manch ein Bürger oder eine Bürgerin wird sich vielleicht sogar entscheiden, ein E-Auto zu kaufen. Wie sieht aber die Gesamt-CO2-Bilanz aus? Die Herstellung des E-Autos mit der CO2-intensiven Herstellung der Batterie frisst die CO2-Einsparung wieder weg. Die Automobilindustrie wird das nicht jucken. Es ist wieder ein Auto verkauft und Profit gemacht.

Die SUV-Mode, der riesige Fleischverbrauch und die Vielfliegerei sind Beispiele für Verschwendung, aber eine Reduzierung an dieser Stelle wird das Problem noch nicht lösen. Produktionsweisen müssen auf Kosten der Profite geändert werden. Zusätzlich muss auch der Verbrauch an anderen Umwelteinträgen reduziert werden, zu denen Feinstaub, Stickstoffoxide (NOx), Industrie- und Landwirtschaftsabwässern gehören. Nur dann können sich die Natur und der Mensch wieder ein bisschen erholen.

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"Kapitalistische Zauberformel", UZ vom 2. August 2019



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