Auf der 3. Tagung des DKP-Parteivorstandes berichtete Andrea Hornung, Bundesvorsitzende der SDAJ, über die Entwicklung des Jugendverbandes und die Vorbereitung des Bundeskongresses, der im März 2024 stattfinden wird. Wir veröffentlichen den ersten Teil des Referates zur Lage der Jugend in diesem Land.
Vor vier Wochen ist der neue Ausbildungsreport der DGB-Jugend erschienen. Ein kurzer Blick in die Ergebnisse zeigt: Während uns vom Fachkräftemangel erzählt wird, fehlen real Ausbildungsplätze. Mindestens jeder neunte Ausbildungsplatzsuchende geht leer aus. Wer einen Ausbildungsplatz bekommt, den erwarten schlechte Ausbildungsqualität, zu wenig Ausbilder und ein Ausbildungsgehalt, das im Regelfall nicht zum eigenständigen Leben ausreicht. Nur etwas mehr als die Hälfte der Auszubildenden wissen im dritten Jahr, dass sie übernommen werden – aber oft nur befristet und nicht im erlernten Beruf. Die Bundeswehr nutzt diese Perspektivlosigkeit aus, will immer präsenter an Schulen werden. Es wird sogar gefordert, das Werbeverbot auch offiziell aufzuheben. Ausbildungsplatzmangel, schlechte Ausbildung und keine Übernahme – die Jugend hat keine Perspektive.
Die Schulbildung wird immer schlechter: Lehrkräfte fehlen, das Leseniveau von Grundschülern geht seit Jahren zurück und Eltern müssen rund 1.000 Euro pro Jahr für Schulkosten ausgeben. Haupt- und Realschulabschlüsse sind immer weniger wert, das Abitur wird immer weiter zentralisiert und der Leistungsdruck damit weiter erhöht. Auch in der Schule gilt: Die Jugend hat keine Perspektive. Auch deshalb ist die kommende Tarifrunde der Länder TV-L für uns von Bedeutung, bei der Schüler und Lehrer gemeinsam gegen Unterfinanzierung aktiv werden.
Prekär ist längst normal
Nach Schule und Ausbildung wird es für Jugendliche nicht besser: Der Berufseinstieg bedeutet für immer mehr Jugendliche einen Einstieg in prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder in einen Job mit schlechter Bezahlung. Schon vor vielen Jahren haben wir festgestellt: Prekär ist das neue normal für Jugendliche. Jugendliche trifft Sozialabbau und Kapitaloffensive besonders hart. Ein Viertel der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren ist von Armut bedroht. Diese Perspektivlosigkeit gepaart mit Einzelkämpfermentalität und Selber-Schuld-Ideologie drückt sich auch in der deutlich anwachsenden Zahl an psychischen Krankheiten aus: Mittlerweile ist jeder fünfte Klinikaufenthalt von Personen zwischen zehn und 17 Jahren auf psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen zurückzuführen. (…)
Diese Erfahrungsgrundlage wirkt sich auf den Bewusstseinsstand Jugendlicher aus: Die Jugend hat keine Perspektive – Perspektivlosigkeit ist verbreitet. Zukunftsängste, Vereinzelung, Resignation und Ohnmachtsgefühl herrschen vor. Jugendliche erleben die Konkurrenz und die schlechter werdende Lebenssituation immer stärker. Besonders zugespitzt ist das in Ostdeutschland, wo Jugendliche noch stärker von Unsicherheit bedroht sind. Jugendliche bemerken jedoch nicht nur die Gefährdung ihrer individuellen Zukunft: Laut Studien gehören ein großer Krieg und der Klimawandel zu den größten Sorgen Jugendlicher. Auch wenn Umweltbewegungen aktuell etwas abgeflacht sind, so ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese wieder größer werden: 2050 wird es vermutlich über 140 Millionen Klimaflüchtlinge geben, auch in Deutschland wird es regelmäßig über 40 Grad warm sein und auch hier wird es deutlich mehr Naturkatastrophen geben.
Bei all der Erkenntnis von Problemen – die sich auch in der sinkenden Zustimmung zur Ampelregierung und in der Kritik an Waffenlieferungen widerspiegelt – besteht jedoch ein Widerspruch zwischen einer teilweisen Erkenntnis der schlechten Lage und der wahrgenommenen Handlungsunfähigkeit. Denn auch wenn viele Jugendliche Probleme sehen, sehen viele keine ernsthafte Kampfperspektive. Das Bewusstsein ist – nicht nur in der Gewerkschaft – stark von Stellvertreterdenken geprägt, soweit es überhaupt noch Stellvertreter gibt. Beim ver.di-Bundeskongress hat sich die ver.di-Jugend leider stark für Waffenlieferungen und für einen Kampf bis zum Sieg ausgesprochen. Das zeigt, wie notwendig eine stärkere Diskussion auch innerhalb der Gewerkschaften ist.
Jugend ohne Perspektive?
Wir wissen: Die Widersprüche der realen Welt, des Kapitalismus, führen auch zu einer widersprüchlichen Verarbeitung der Situation – unter der Jugend wie in der ganzen Klasse und Gesellschaft. Während manche jede Veränderbarkeit der Situation negieren, ins Private verfallen und ein konservatives Rollback predigen, propagieren andere Gendern oder Konsumkritik als vermeintlichen Ausweg. Irrationale Erklärungsmuster nehmen zu. Der Großteil der Jugendlichen versucht sich selbst zu verwirklichen oder als Einzelkämpfer durchzukommen, der gemeinsame Kampf ist vielen unbekannt – die Jugend ist ohne Perspektive.
Doch wir wissen, dass die Jugend eine Perspektive hat. Das zeigen auch Auseinandersetzungen und Bewegungen immer wieder: Ob Umwelt-, Friedens- oder Frauenbewegung, immer wieder aufflammende Bildungsproteste, zum Beispiel an einzelnen Schulen gegen marode Gebäude, die vergangenen Tarifrunden und der Megastreik: Die Jugend ist auch Teil des Kampfes. Als SDAJ versuchen wir an der scheinbaren Perspektivlosigkeit anzusetzen. So haben wir uns das Ziel gesetzt, in den nächsten Jahren mehr gewinnbare Kämpfe zu führen, wie kürzlich den Kampf um einen Ausbau der Schulbuslinien in Dortmund. Auch wenn es uns hier nicht gelungen ist, die Linien in dem Maße auszubauen, wie wir es gefordert haben, haben wir einen Teilkampf gewonnen. Die Schülerinnen und Schüler dieser Schule haben gemerkt: Zusammenschließen und kämpfen lohnt sich. An dieser Schule konnte jetzt die erste Schulgruppe der SDAJ seit 1990 gegründet werden. Wir haben dort – so auch die Aussage der Vertrauenslehrer – wahrscheinlich eine der aktivsten, wenn nicht die aktivste Schülervertretung Deutschlands.
Kuba zeigt, es gibt Alternativen
Wir meinen, wir brauchen Kämpfe, in denen Teilerfolge möglich sind, die wir gewinnen, um der Perspektivlosigkeit entgegenzuwirken. Wir organisieren in ganz Deutschland offene Treffen von Schülern, Auszubildenden und Studierenden, in denen man einfach mitmachen, mitdiskutieren und sich einbringen kann. Wir malen zum Beispiel gemeinsam Schilder für die nächste Aktion oder bereiten Unterschriftensammlungen an der Schule vor und bieten damit eine niedrigschwellige Möglichkeit, sich einzubringen. Aber dabei bleiben wir nicht stehen: Mit den Kuba-Brigaden haben wir ganz praktisch aufgezeigt, dass eine sozialistische Welt möglich ist, in der Gesundheit und Bildung kostenlos sind. Das hat Ausstrahlung.