Kann bleiben

Manfred Dietenberger zum Armutsbericht der Regierung

„Die Bundesregierung vertuscht und sagt den Menschen nicht, was ist“, wetterte Andrea Nahles (SPD), nachdem in der Ressortabstimmung kritische Passagen aus dem Armuts- und Reichtumsbericht entfernt worden waren. Das war im November 2012. Damals war Nahles Generalsekretärin der SPD.

ZEIT online titelt nun fünf Jahre später „Armutsbericht: Zensiert und geschönt“. Mit einer rekordverdächtigen Verspätung von eineinhalb Jahren billigte das Regierungskabinett den Armuts- und Reichtumsbericht über die „Lebenslagen in Deutschland“. Um jede Formulierung wurde im Hintergrund gefeilscht. Für die „Menschen draußen“ wurde das Gezeter vorwahlkampftauglich als ein Kampf zwischen den Regierungskoalitionären inszeniert.

Das Auffälligste am aktuellen Armutsbericht sei die „Lohnspreizung“, so die heutige Bundesarbeitsministerin Nahles im Deutschlandfunk. Die Spreizung verdanken wir der SPD und ihrer Agenda 2010. Vom Ursprungsentwurf ist nicht viel Substanzielles übrig geblieben. Denn der mehrere hundert Seiten dicke Bericht ist an entscheidenden Stellen entschärft, oder die interessanten Fakten sind gar nicht erst erfasst worden. So ist nach den Kriterien des Nahles–Berichts schon „einkommensreich“, wer über mehr als das Doppelte beziehungsweise das Dreifache des mittleren „Nettoäquivalenzeinkommens“ der Gesamtbevölkerung verfügt.

Leichter zu ermittelnde, aussagekräftigere Zahlen finden sich in diesem Reichtums- und Armutsbericht nicht: Die reichsten Geschwister in diesem unserem Lande, Susanne Klatten und Stefan Quandt, kassierten z. B. im Mai 2016 für das Vorjahr allein 994,7 Mio. Euro an Dividenden aus ihren BMW-Aktien. Diese viel leichter zu ermittelnde, plakativeren und aussagekräftigeren Zahlen sucht man vergebens. Dennoch bei aller Schönfärberei kann auch dieser Bericht nicht um die Tatsache herum, dass während das reichste Prozent der Bevölkerung 51,9 Prozent des Nettogesamtvermögens besitzen, die ärmere Hälfte der Bevölkerung gerade mal auf ein Prozent kommt.

Die Regierung findet daran nichts anstößig. Die amtlich festgestellte wachsende Ungleichheit und steigende Armut sind für sie kein Anlass, korrigierend tätig zu werden. Die Regierungsparteien ziehen mit der unausgesprochenen Parole in den Wahlkampf: „Eure Armut ist uns egal. Sie kann bleiben.“

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"Kann bleiben", UZ vom 21. April 2017



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