Kampfauftrag

Patrik Köbele über das Grundgesetz

Verteidigung einer Ruine“ so betiteln die Marxistischen Blätter ihr aktuelles Heft mit dem Schwerpunkt 70 Jahre Grundgesetz. Ich denke, das bringt es recht gut auf den Punkt.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland war von Anfang an geplant zur Konstituierung eines Teilstaates, um möglichen sowjetischen Einfluss auf ein geeintes Deutschland zu verhindern. Es war geplant als Grundlage der Westintegration und Stoßrichtung gegen die Sowjetunion. Es war geplant als Absicherung zur Restauration der kapitalistischen Macht- und Besitzverhältnisse. Trotzdem musste Rücksicht genommen werden auf eine Massenstimmung gegen Militarismus, selbst auf weit verbreiteten Antikapitalismus. Diese Gemengelage führte wohl auch dazu, dass man dem Volk nicht traute – im Unterschied zu vielen anderen Staaten (historisch zum Beispiel auch die DDR) durfte das Volk der Bundesrepublik nie über das Grundgesetz abstimmen. Auch der Parlamentarische Rat, der das Grundgesetz ausarbeitete und schließlich beschloss, war nicht direkt gewählt.

Trotzdem und zu Recht entschieden sich unsere Genossinnen und Genossen dazu, an der Erarbeitung des Grundgesetz teilzunehmen. Legendär und von großem vorausschauenden Realismus ist die Aussage von Max Reimann: „Sie, meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz, mit dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“

Das begann bekanntlich sehr bald: Ab 1951 wurde die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik betrieben und 1956 vollzogen, 1956 wurde die KPD verboten – die zeitliche Nähe zur Remilitarisierung kam nicht von ungefähr. Ebenfalls 1956 gab es erste Pläne, Notstandsgesetze einzuführen. Eine große Koalition aus CDU und SPD setzte diese 1968 durch. 1972, unter der Regierung von Willy Brandt, wurden die Berufsverbote geschaffen, vorwiegend um die vier Jahre zuvor neu konstituierte DKP in einen Status der Halblegalität zu drängen.

Die Annexion der DDR wurde, entgegen dem Sprachgebrauch, nicht als Vereinigung nach dem Artikel 146 GG, sondern als Beitritt nach Art. 23 GG vollzogen. Darauf folgten die Beteiligung an Kriegen und die faktische Abschaffung des Asylrechts.

Der Antifaschismus des Art 139 des GG wurde niemals konsequent umgesetzt. Die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes, die zum Gebrauch des Eigentums im Interesse des Gemeinwohls verpflichten und die die Möglichkeit zur Vergesellschaftung von „Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln“ beinhalten, wurden von Anfang an in die Vergessenheit gedrängt. Heute fordert der Verfassungsfeind und FDP-Chef Lindner deren Abschaffung.

Trotz alledem bleibt es dabei: Verfassungsfragen sind Machtfragen. Das Grundgesetz, so ausgehöhlt es ist, es schreibt den Kapitalismus nicht fest. Auf dem Boden vieler seiner Grundrechte lässt sich kämpfen, auch wenn viele Deformationen, Änderungen, Interpretationen rückgängig zu machen sind.

Agendapolitik, Hochrüstung, Kriegseinsätze, Arbeitslosigkeit, Armut, Katastrophe im Gesundheitswesen, Bildungsnotstand sind Anschläge auf die Würde des Menschen, sind Verfassungsbruch, werden aber aufgrund des Kräfteverhältnisses nicht verfolgt. Der Jahrestag des Grundgesetzes ist ein Kampfauftrag, dies zu ändern.

Und natürlich wollen wir eine Verfassung, die die Grundrechte erweitert. In die Verfassung gehört das Recht auf Arbeit und das Recht auf bezahlbaren Wohnraum, das Recht auf kostenlose Bildung. Der Artikel über die kommunale Selbstverwaltung ist zu ergänzen um die Finanzierungsverpflichtung durch Bund und Länder – natürlich ist die Schuldenbremse zu streichen.

Und als Wichtigstes, Krieg, Militarisierung, Hochrüstung sowie die Mitgliedschaft in Aggressionsbündnissen wie der NATO sind zu verbieten – hier lässt sich viel von der neuen Verfassung des sozialistischen Kuba lernen, die übrigens, im Unterschied zum Grundgesetz, vom Volk beschlossen wurde.

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"Kampfauftrag", UZ vom 17. Mai 2019



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