Grönland ist seit Jahrhunderten Spielball fremder Mächte. Auch Deutschland spielte dabei immer wieder eine Rolle

Kampf um Grönland

Deutschland und Frankreich haben Dänemark Unterstützung im Streit im Grönland zugesagt. Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bekräftigten gestern bei einem Kurzbesuch der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, sie bestünden auf der territorialen Souveränität aller Staaten. Dies steht einer Einverleibung Grönlands durch die USA entgegen. Grönland, heute ein autonomer Teil Dänemarks, wurde in seiner Geschichte nicht nur von US-Ansprüchen, sondern vom Dreieck Kopenhagen-Washington-Berlin geprägt. So führte der deutsche Einmarsch nach Dänemark im April 1940 letztlich zur Errichtung der ersten US-Militärbasen auf der Insel. Später löste die Plünderung der Fischbestände in Grönlands Gewässern durch bundesdeutsche Fischer massive Kritik an der Mitgliedschaft der Insel im EU-Vorläufer Europäische Gemeinschaft (EG) aus. Dies führte schließlich dazu, dass sich eine klare Mehrheit von Grönlands Bevölkerung im Jahr 1982 für den Austritt aus der EG aussprach. Unter Außenpolitikern gilt die Insel bis heute als „Europas Tor zur Arktis“, von dem auch die Bundesrepublik profitiert.

Dänemark als Kolonialmacht

Dänemark hatte neben den Kolonien im Hohen Norden weitere in der Karibik erobert, wo sich die Dänische Westindien-Kompanie im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts mehrere Inseln einverleibte. Nach dem Konkurs der Kompanie übernahm der dänische Staat 1754 die direkte Kontrolle eines Großteils der Inselgruppe der dänischen Jungferninseln. Deren Hauptort St. Thomas, ein Freihafen, entwickelte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts zum Eingangstor der Hamburgischen Karibikschifffahrt in die Region. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs etablierte die kaiserliche Marine ihre „Ostamerikanische Station“, in deren Rahmen deutsche Kriegsschiffe hauptsächlich von St. Thomas aus in der Region operierten. Die dänische Kolonie diente somit als Sprungbrett für die deutsche Kanonenbootpolitik. Darüber hinaus beobachtete der US-Konsul auf den dänischen Jungferninseln, dass Dänemark in der Kolonialbesitzung das Deutsche Kaiserreich in wirtschaftlichen Angelegenheiten bevorzugte. Aufgrund der Aktivitäten der deutsche Marine in der Karibik stieg in Washington das Interesse, die dänischen Jungferninseln zu kaufen. Ende März 1917 erwarben die USA sie tatsächlich. Eine Woche später erklärte die US-Regierung Deutschland den Krieg. Das deutsche Sprungbrett in die Region war dauerhaft verloren.

„Erik-des-Roten-Land“

Nach dem Sieg der Entente im Ersten Weltkrieg regelten der Versailler Vertrag und andere in und bei Paris geschlossene Verträge die Nachkriegsverhältnisse in Europa. Parallel dazu erkannten die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und Italiens die dänische Souveränität über Grönland an, die Kopenhagen bereits seit 1721 beansprucht hatte – seit der Zeit also, in der es auch seine karibischen Kolonien eroberte. Die USA hatten die dänische Herrschaft über Grönland bereits 1917 mit dem Vertrag über die dänischen Jungferninseln anerkannt. Lediglich Norwegen war nicht bereit, eigene Ansprüche auf Grönland aufzugeben. Im Juni 1931 besetzte eine norwegische Expedition Grönlands Ostküste und taufte das Gebiet „Eirik-Raudes-Land“ – benannt nach Erik dem Roten, einem im heutigen Norwegen geborenen Wikinger, der als erster Europäer im 10. Jahrhundert Grönland erreichte. Bei einem auf die norwegische Landnahme folgenden Verfahren vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof (StIGH) half der damals in Rostock und Würzburg lehrende Völkerrechtsprofessor Ernst Wolgast der norwegischen Seite mit juristischen Gutachten und aktiver Pressearbeit. Trotz der Hilfe des deutschen Juristen urteilte der StIGH jedoch zugunsten Dänemarks. Die norwegischen Besatzer zogen sich daraufhin aus Ostgrönland zurück. Verteidigungsminister in Oslo war in der Zeit der Ostgröndlandkrise Vidkun Quisling. Quisling gründete einen Monat nach dem IGH-Urteil die am Nationalsozialismus orientierte Nationale Vereinigung (Nasjonal Samling, NS) und wurde ihr Anführer.

Zweiter Weltkrieg

Nach dem deutschen Einmarsch in Dänemark im April 1940 entsandte die US-Regierung ein Schiff der US-Küstenwache nach Grönland und eröffnete ein Konsulat in dessen Hauptstadt, die damals Godthåb hieß; heute lautet ihr Name Nuuk. Die USA waren im Zweiten Weltkrieg noch neutral; doch aufgrund der deutschen Expansion in Europa dehnte die Regierung in Washington kurzerhand die für Lateinamerika und die Karibik konzipierte Monroe-Doktrin aus dem Jahr 1823 auf Grönland aus. Ein Monat später eröffnete auch Kanada ein Konsulat in Godthåb. Nachdem die USA im Dezember 1941 in den Zweiten Weltkrieg eingetreten waren, besetzten US-Truppen Grönland und errichteten entlang der Küstenlinie mehrere Militärbasen. In Washington sah man die Insel als wichtigen Pfeiler der Verteidigung Nordamerikas gegen die deutschen Truppen an. Nach Kriegsende bot die US-Regierung Dänemark 100 Millionen US-Dollar als Kaufpreis für die Insel an, doch Kopenhagen lehnte ab. Washington konnte sich allerdings 1951 von der dänischen Regierung die dauerhafte Nutzung der Militärbasis Thule im Nordwesten Grönlands zusichern lassen. Die Thule Air Force Base wurde zu einer der wichtigsten Flugabwehrbasen der US-Luftwaffe in der aufkommenden Systemkonfrontation. Die Sowjetunion löste Deutschland als wichtigsten Faktor bei der Gestaltung der US-Politik in der Grönlandfrage ab.

Fremde Fangflotten

Dennoch beeinflusste die Bundesrepublik Grönlands Politik auch weiterhin. Eine zentrale Rolle spielte dabei der für die Insel äußerst wichtige Fischfang. Der Konflikt darum betraf auch Island, das – anders als Grönland – nach langer dänischer Kolonialherrschaft 1944 unabhängig geworden war. Island startete daraufhin umfangreiche Bemühungen, Fischer aus Westeuropa und vor allem Fischer aus der Bundesrepublik, die die isländischen Fischbestände besonders stark plünderten, aus seinen Gewässern fernzuhalten. Nach langen Kämpfen hatte es Erfolg. 1976 zogen sich Hochseefischer aus Bremerhaven aus Island zurück. Grönland wiederum, das nicht die Unabhängigkeit erlangt hatte, sondern als Provinz Dänemark eingegliedert worden war, gehörte mit dessen Beitritt zur EG ab 1973 dem Vorläufer der Europäischen Union (EU) an. Seit der Erlangung eines Autonomiestatus in Dänemark im Jahr 1979 durften die Grönländer jedoch selbst über einige Fragen entscheiden, etwa über die Zugehörigkeit zur EG. Im Februar 1980 führten die illegalen Fangaktivitäten von Fischern aus Bremerhaven vor den Küsten Grönlands zu einem internationalen Eklat. Die deutschen Fischer wurden festgenommen und verurteilt.

Austritt aus der EG

In Grönland jedoch setzte mit Blick auf die herausragende Bedeutung der Fischindustrie für die eigene Wirtschaft eine Debatte um den Austritt aus der EG ein. Bei einem Referendum im Februar 1982 stimmten 53 Prozent der grönländischen Wähler für den Austritt. Grönland war damit das erste Gebiet, das freiwillig aus der EG austrat. Nicht nur wirtschafts-, sondern auch außenpolitisch setzte sich die grönländische Politik von Westeuropa ab: Mitte der 1980er Jahre etablierten Parlamentarier aus Grönland mit Vertretern Islands und der Färöer ein gemeinsames Gremium, das seit 1997 den Namen „Westnordischer Rat“ trägt. Die Abgeordneten des Rates erklärten die Region zur atomwaffenfreien Zone. Darüber hinaus wandten sich grönländische Politiker in den 1990er Jahren gegen die Errichtung eines damals geplanten NATO-Raketenschildes. Das Streben nach endgültiger Entkolonialisierung und Grönlands zunehmende Autonomie führten damit zu einer politischen Entfremdung von Deutschland.

Tor zur Arktis

Indirekte Einflusshebel hat sich die Bundesrepublik dennoch bewahrt. Weil die dänische Regierung trotz Grönlands Autonomie weiterhin die Außen- und Verteidigungspolitik der Insel verantwortet, setzte die Bundesregierung in den vergangenen Jahrzehnten in Arktisfragen stets auf eine enge Kooperation mit Dänemark. Ein Experte der von der Bundesregierung mitfinanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bezeichnete Grönland dabei einst als „Europas Tor zur Arktis“. Sollte Grönland unabhängig werden, könnte es der Europäischen Freihandelsassoziation (European Free Trade Association, EFTA) mit Island und Norwegen beitreten. Damit wäre eine Anbindung an die EU auch ohne Zugehörigkeit zu Dänemark gesichert. Würde Grönland allerdings als Außengebiet oder als freiwillig assoziierter Staat den USA zugeschlagen, dann wäre der Einfluss der EU auf ein Minimum reduziert.

US-Annektionspläne

US-amerikanische Überlegungen, Grönland zu übernehmen, reichen weit in die Geschichte zurück. Bereits während des US-Bürgerkriegs (1861–1865) zog der Außenminister der Nordstaaten, William H. Seward (im Amt 1861–1869), einen Kauf Grönlands durch die USA in Betracht. Unter Sewards Ägide erwarben die Vereinigten Staaten kurz nach dem Ende des Bürgerkriegs Alaska vom Russischen Zarenreich – bis heute der zweitgrößte Territorialerwerb in der Geschichte der USA. Im Jahr 1867 schrieben Mitarbeiter des geodätischen Dienstes der USA (US Coast Survey) einen umfassenden Bericht über Grönland, in dem unter anderem die Rohstoffvorkommen der Insel beschrieben wurden. In den vergangenen 160 Jahren kam die Idee eines US-Erwerbs Grönlands immer wieder auf, unter anderem kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – und jetzt erneut seit der ersten Präsidentschaft von Donald Trump. Dabei steht inzwischen China im Fokus der US-Grönlandpolitik. Bereits seit 2017 fürchtet Washington einen wachsenden Einfluss Chinas auf der Insel. Zwar ist der Einfluss der Volksrepublik bisher gering; chinesische Konzerne halten – aufgrund dänischer und US-amerikanischer Einflussnahme – allenfalls Minderheitenbeteiligungen an Minengesellschaften in Grönland. Dessen Autonomieregierung freilich zeigt Interesse am Ausbau der Beziehungen mit China: Seit 2021 unterhält sie einen eigenen Vertreter in der dänischen Botschaft in Beijing.

Militärische Rivalität

Konkrete Vorstöße, sich Grönland anzueignen, unternahmen die Vereinigten Staaten erstmals seit Jahrzehnten im Jahr 2019. Neben dem Kampf um die Rohstoffe der Insel und um geostrategisch bedeutende Seewege geht es dabei in wachsendem Maß auch um offene militärische Rivalität.

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