Der Kabarettist Jean-Philippe Kindler geht in seinem ersten Buch „Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf“ mit der linken Bewegung ins Gericht. Treffend stellt er fest, dass viele Linke sich in einzelne identitätsbezogene Kämpfe haben aufspalten lassen und dabei vergessen, dass all die großen Probleme eine gemeinsame materielle Grundlage haben: den Kapitalismus.
Kindler stellt dabei die These auf, dass viele zunächst als politisch wirkende Akteure gar nicht politisch sind. Er spricht von Antipolitik. Was Kindler damit meint: Wer nur das Individuum anprangert, nicht aber die Verhältnisse, macht keine Politik. Oder mit den Worten des Autors: „Wo der Einzelne alles in der Hand hat, wird Politik eben unnötig.“
In den sechs Kapiteln seines Buches handelt er die Themen Armut, Glück, Klima-krise, Demokratie, Linkssein und das gute Leben ab. Er ruft die linke Bewegung dazu auf, diese Themen zu repolitisieren, sie also „von der individuellen auf die kollektive Ebene zu hieven“. Klassenkampf statt Selbstoptimierung sei das Gebot der Stunde. Die Entpolitisierung dieser Themen sei auf dem Mist der Linken gewachsen, denn „viele Linke scheinen sich mit der Alternativlosigkeit einer marktwirtschaftlich organisierten, liberalen Demokratie längst abgefunden zu haben und üben sich in tarifpartnerschaftlicher Schadensbegrenzung“.
Die Probleme der heutigen Linken erkennt Kindler treffend: Die Zurückgezogenheit in die eigene Bubble, die Unfähigkeit, die eigene Politik mehrheitsfähig unter die Bevölkerung zu tragen, den Hang, nebensächlichen Kleinstfragen eine riesige Bedeutung zuzuschreiben und der Verlust der Verankerung in der Arbeiterklasse. Damit ist Kindler nicht der Erste, diese Problematik ist bereits unter anderem von Didier Eribon in „Rückkehr nach Reims“ und Sahra Wagenknecht in „Die Selbstgerechten“ beschrieben worden. Kindler beschreibt das Ganze aber aus einem anderen Blickwinkel, denn er, 1996 geboren, kennt es ja nicht anders, hat den ideologischen Verfall der Linken selbst nicht miterlebt.
Kindler zieht den Schluss, wer Klassenkampf will, muss seine Politik eben auch so gestalten, dass sie die große Masse der Klasse überhaupt anspricht und nicht nur eine kleine Minderheit im Elfenbeinturm. Er geht noch weiter, wenn er fordert, die linke Bewegung müsste sich wieder selbstbewusst trauen zu sagen: Echte Demokratie ist mehr als Kapitalismus plus Wahlen. Er schreibt es sogar noch deutlicher: „Wer sich Demokratin nennt, muss im Grunde für sozialistische Politik sein.“
Nach den 160 Seiten wird man allerdings mit dem Gefühl zurückgelassen, es fehle noch ein Kapitel. Was ist denn nun dieses Klassenbewusstsein genau und wie schaffen wir es? Wie kommen wir denn hin zum Sozialismus und wie sieht der eigentlich aus? Da macht es sich Kindler nämlich sehr einfach. Wortwörtlich lädt er „alle interessierten Leserinnen dieses Buches dazu ein, auf den gemeinsamen Parteitagen, Stammtisch- und Lesezirkeltreffen eine kluge und massentaugliche Staatskritik zu entwickeln …“
Damit gibt Kindler im Grunde zu: Wie es jetzt ist, ist es schlecht, aber wie es anders werden soll, weiß er auch nicht. Eins lässt sich allerdings herauslesen. Zwar bezieht Kindler sich auf Marx, vom Marxismus ist er aber noch ein ganzes Stück entfernt. Kindler schreibt, dass „weder der Sozialismus noch der Kommunismus je wirklich erprobt wurde“. Damit leugnet er, dass auf einem Drittel des Planeten die Arbeiter bereits bewiesen haben, dass sie auch ohne Kapitalisten leben können. Kindler begreift den real existierenden Sozialismus der Vergangenheit also nicht als Anlauf zum Kommunismus, aus dem man lernen kann, wie es in Zukunft besser geht. Dadurch reiht er sich in die bürgerliche Sozialismuskritik ein, die er eigentlich zu kritisieren vorgibt. Und auch von Revolutionen hält Kindler nicht viel. Sie sind für ihn romantisch, aber strategisch nicht sinnvoll.
Jean-Philippe Kindler
Scheiß auf Selflove,
gib mir Klassenkampf
Rowohlt, 160 Seiten, 12 Euro