Mut machen soll er nach dem Willen der Herausgeberinnen, der „Wir Frauen“-Kalender für das Jahr 2023. Mut machen in Zeiten, in denen der Tenor nach „Rückgrat“ verlangt, nach runtergedrehter Heizung und enger geschnalltem Gürtel. Mut machen in Zeiten, in denen 100 Milliarden und mehr für die Rüstung ausgegeben werden, aber Forderungen nach höheren Löhnen oder angemesseneren Hartz-IV-Sätzen gemäßigt werden sollen im Namen einer falschen Solidarität. Mut machen soll der Kalender, weiterhin widerständig und solidarisch zu bleiben – es ist gerade bitter nötig.
Florence Hervé, Melanie Stitz und Mechthilde Vahsen haben dazu wieder Frauen aus Politik, Kunst, Kultur, Wissenschaft und Bewegung versammelt, die inspirieren und Mut machen können. So erfahren wir zum Beispiel von Anne Beaumanoir. Sie verbrachte ihre Kindheit in der Bretagne, in einem Ort am Meer. Ihre Eltern engagierten sich für die Volksfront, kümmerten sich um Flüchtlingen aus Spanien und arbeiteten für die Résistance. Ab 1940 war auch Anne im Widerstand, verteilte illegale Flugblätter, ergriff in Kinosälen das Wort, klebte Plakate. Bald betreibt sie den Widerstand „in Vollzeit“, wird Kurierin der Kommunistischen Jugend. Sie rettete jüdische Kinder vor der Deportation und wurde dafür in Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Ihr Kampf für die Gerechtigkeit war mit dem Sieg über den deutschen Faschismus nicht zu Ende. Anne beendete ihr Medizinstudium, wurde Professorin für Neurologie und kämpfte ab 1954 – inzwischen Mutter von drei Kindern – mit der algerischen Befreiungsfront FLN gegen den französischen Kolonialismus. Dafür wurde sie zu zehn Jahren Haft verurteilt. Sie entkam und baute als Teil der algerischen Regierung das Gesundheitswesen mit auf. Nach dem Militärputsch von 1958 arbeitete sie als Neurologin im Schweizer Exil. Bis zu ihrem Tod Anfang diesen Jahres blieb sie politisch tätig und informierte zum Beispiel in Schulklassen über die Résistance.
Und wir lernen in dem Kalender Serpil Temiz Unvar kennen, die bei den Morden eines Rechtsterroristen in Hanau ihren Sohn Ferhat verlor. Sie gründete die „Bildungsinitiative Ferhat Unvar“ – Ziel der Initiative, in der sich zum größten Teil jungen Menschen engagieren, ist es, Rassismus dort zu bekämpfen, wo er Wurzeln hat: in der Schule. Die Erfahrungen, die Kinder wie ihr Sohn täglich in Deutschland machen („Du gehörst nicht aufs Gymnasium“) werden in Workshops, die die Jugendlichen in Schulen anbieten, aufgegriffen, die Vorurteile sollen durchbrochen werden. Institutioneller und Alltagsrassismus sollen so aufgezeigt und von Rassismus Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite gestanden werden.
Das kleine Lexikon des Kalenders ist diesmal „Künstlerinnen und Schriftstellerinnen im Exil von 1945 bis heute“ gewidmet. Dort haben die Herausgeberinnen Informationen über 35 Frauen versammelt, die vor Krieg, Gewalt, Hunger und Elend, Sexismus und Unterdrückung flohen – oder auch, weil sie in ihrem Land schlicht keine Perspektive sahen. Unter ihnen die griechische Sängerin Maria Farantouri. 1947 in Athen geboren, hatte sie ihren Durchbruch 1966 mit der Mauthausen-Kantate von Mikis Theodorakis – bis heute ist sie seine bekannteste Interpretin. 1967 floh sie vor der griechischen Militärdiktatur nach Paris. Nach dem Ende der Diktatur trat sie gemeinsam mit Theodorakis und weiteren Sängern und Musikern am 10. Oktober 1974 im Karaiskakis-Stadion am Stadtrand von Athen auf – vor 40.000 Menschen, die das Ende der Diktatur feierten.
Die Termine des kommenden Jahres gegen die Abwälzung der Krisenlast nach unten, gegen Krieg und alte und neue Nazis, für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, für Frieden, Heizung, Brot und Rosen sind im „Wir Frauen“-Kalender also in bester Gesellschaft.
Wir Frauen
Taschenkalender
Herausgegeben von Florence Hervé, Melanie Stitz und Mechthilde Vahsen
PapyRossa, 240 Seiten, 12, 90 Euro
Erhältlich unter uzshop.de