Ob mit oder ohne Schuldenbremse: Die Kriegsausgaben fressen Renten und Sozialleistungen

Kahlschlag kommt

Er hält sich für bedeutsam, die deutschen Panzerbauer macht er glücklich (Rheinmetall-Chef Armin Papperger dankt für 40 Milliarden Euro aus dem „Sondervermögen“), er verfügt über politische Flexibilität („Wir werden keine europäische Friedenspolitik hinbekommen ohne Russland“, 28. Mai 2018), aber er ist dünnhäutig, wenn’s mit dem Geldeinsammeln für die Kriegsvorbereitung dann doch nicht so glatt läuft. Beim dienstäglichen Koalitionsfrühstück am 14. Mai zeigte Boris Pistorius (SPD) Nerven und patzte in die Runde: „Ich muss das hier nicht machen.“

Angesichts der vorab durchgesickerten Zahlen der Steuerschätzung und der Konjunkturprognose der „Wirtschaftsweisen“ sah er seinen Plan in Gefahr, neben dem „Sondervermögen“ für 2025 noch zusätzlich 6,5 Milliarden Euro mehr für die Truppe herauszuholen. Der Anstieg des Kriegsetats von 2015 auf 2025 um fast 40 Prozent auf knapp 52 Milliarden Euro reicht Pistorius, der gerne von einem Finanzbedarf der Bundeswehr bis 2030 von 300 Milliarden Euro redet, für eine kriegstaugliche Aufrüstung nicht.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) lehnt eine Aussetzung der Schuldenbremse für den Wehretat ab, nicht etwa weil er kriegsmüde geworden wäre, sondern weil er meint, die Bundeswehrmilliarden über den Rückbau der Rente, Kürzungen beim Bürgergeld und der Kindergrundsicherung sowie über Einschnitte im Bildungs- und Gesundheitswesen beschaffen zu können. Es wäre ein Trugschluss zu meinen, das „Modell Pistorius“ (die Lockerung der Schuldenbremse) würde die Bürger, die ohnehin zur Kasse gebeten werden, zumindest für eine gewisse Zeit von den Kriegsausgaben verschonen.

Die deutsche Staatsverschuldung ist im Jahr 2023 um 62 Milliarden Euro auf astronomische 2,62 Billionen Euro (das Fünffache des Haushalts 2024) gestiegen. Allein die jährliche Zinslast beträgt aktuell 14,6 Milliarden Euro, das entspricht fast dem Etat des Gesundheitsministeriums. Gleichzeitig belegen die Ergebnisse der aktuellen Steuerschätzung für die Jahre 2024 bis 2028 ein Defizit von etwa 40 Milliarden Euro gegenüber früheren Prognosen. Aussichten, diese Lücke ohne großflächige Steuererhöhungen aufzufangen, bestehen nicht.

Das gerade veröffentlichte Frühjahrsgutachten zur Konjunkturentwicklung bestätigt den anhaltenden Abwärtstrend der deutschen Wirtschaft für 2024 und 2025: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist 2023 preisbereinigt bereits um 0,2 Prozent gesunken, für das laufende Jahr erwartet der Sachverständigenrat ein minimales Plus von 0,2 Prozent. Sofern sich die „privaten Konsumausgaben erhöhen“, „die Inflation zurückgeht“, der Arbeitsmarkt an Stabilität gewinnt, bestehende internationale „Risikofaktoren“ sich nicht verschärfen, soll 2025 ein Wachstum von 0,9 Prozent erreicht werden können – allein die Zahl der unterstellten Vorbedingungen lässt daran zweifeln.

„Jetzt ist erst mal Schwitzen angesagt“, ist vom Kanzler zu hören. Den vielen Millionen, die für die Aufrüstung schwitzen sollen, präsentiert die Ampelkoalition beinahe täglich immer neue, inhaltlich aber altbekannte Zumutungen. Der Bundesfinanzminister legt die Axt an die Kindergrundsicherung, wie die Funke-Medien-Gruppe am 19. Mai meldete. Außerdem geht es um die Kürzung des Bürgergelds, da können „wir Milliarden Euro gewinnen“. Die Chefin der „Wirtschaftsweisen“, Monika Schnitzer, will die Rente mit 63 abschaffen und eine aktiengestützte Rentenreform, denn „wir können es uns nicht leisten, einfach die Renten weiter so steigen zu lassen wie bisher“.

Auf welchem Planeten lebt die Wirtschaftsweise? Im Jahr 2022 gab es 17,3 Millionen Rentner, 10,7 Millionen davon, mehr als die Hälfte, bezogen weniger als 1.250 Euro Rente pro Monat und gelten damit als arm. Aktienrente? Im Bereich der Versorgungswerke, in die Freiberufler wie Ärzte, Anwälte und Architekten für ihre Rente einzahlen, führt der Verfall der Immobilienpreise und die „Eintrübung“ der Wirtschaftsentwicklung aktuell zu grassierenden Anlageverlusten in den Rentenfonds. Wie das Börsen-Casino mit Rentenansprüchen endet? Die „Wirtschaftswoche“ erklärte es vergangene Woche ihren Lesern: Entweder werden die Beiträge erhöht und dadurch die Verluste ausgeglichen oder die Renten gekürzt.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Kahlschlag kommt", UZ vom 24. Mai 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit