Beschäftigte wehren sich gegen Massenentlassungen

Kahlschlag bei Amazon

Zum ersten Mal in Deutschland will Amazon ein großes Versandzentrum schließen. Betroffen ist das Fulfillment Center in Brieselang bei Berlin, wo bislang 600 Menschen arbeiten. Das Unternehmen hat zwar angekündigt, den Beschäftigten Arbeitsplätze in anderen Versandzentren in Deutschland anbieten zu wollen, doch die nächsten vergleichbaren Standorte sind von Brieselang aus mehr als 100 Kilometer entfernt. Es ist kaum damit zu rechnen, dass viele Beschäftigte zu einem Umzug nach Leipzig oder Magdeburg bereit sind.

„Wir fordern, dass möglichst viele Arbeitsplätze gerade hier in der Region Berlin-Brandenburg erhalten bleiben und erwarten, dass die Brieselanger Beschäftigten automatisch an einem anderen Berliner und Brandenburger Standort eingestellt werden“, forderte die örtliche ver.di-Fachbereichsleiterin Conny Weißbach in einer ersten Stellungnahme.

Anfang des Jahres hatte Amazon angekündigt, weltweit 18.000 Arbeitsplätze abbauen zu wollen, die meisten davon am Stammsitz in den USA. Aber auch Europa wurde ausdrücklich erwähnt. Nun scheinen diese Pläne konkreter zu werden. Das Unternehmen reagiert mit den Massenentlassungen darauf, dass die Steigerungsraten nach dem Ende der Corona-Maßnahmen nicht mehr die Rekordwerte früherer Jahre erreichen.

Unterdessen haben mehrere Dutzend Betriebsräte des Konzerns in einem Offenen Brief die Zahlung eines Inflationsausgleichs gefordert. Das sei angesichts der nach wie vor großen Gewinne des Unternehmens angemessen, zumal die Regierung solche Prämien bis zu einer Höhe von 3.000 Euro steuerlich unterstütze. Zugleich lobten die gewählten Belegschaftsvertreter die bisherige Praxis von Amazon, jährlich die Gehälter zu erhöhen. Was sie dabei allerdings unterschlagen haben: Mit dieser Praxis begann Amazon erst, als die Gewerkschaft ver.di 2013 begann, mit Streiks der Forderung nach Abschluss eines Tarifvertrages Nachdruck zu verleihen. Zudem hat die Konzernführung in den vergangenen Jahren mehr oder weniger die von der Gewerkschaft in den Tarifrunden erkämpften Lohnsteigerungen weitergegeben, um ver.di so den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Nachdem das Unternehmen im vergangenen Herbst Lohnsteigerungen zwischen 3 und 7 Prozent angekündigt hatte, kam es zu einer Welle von Streiks und Protesten, weil diese Einkommenssteigerungen deutlich hinter der Inflation zurückblieben. Der für die Standorte Werne und Dortmund zuständige Gewerkschaftssekretär Philip Keens sagte damals: „Bei einer Inflation von zuletzt 7,9 Prozent im August, dazu die steigenden Heiz- und Strompreise, diktiert Amazon seinen Beschäftigten am Standort Werne eine Entgelterhöhung von 3,8 Prozent. Dabei hat der Onlineriese seinen Umsatz im letzten Jahr um 26 Prozent gesteigert. Die Beschäftigten sind stinksauer. Viele wissen nicht einmal mehr, wie sie den Weg zur Arbeit finanzieren sollen.“

Aufregung gab es zuletzt auch um die von Amazon an die Beschäftigten ausgegebenen Aktien. Während in den USA Führungskräfte einen Großteil ihrer Bezüge in Wertpapieren anstatt von Geld ausgezahlt bekommen, erhielten in Deutschland die Angestellten in den vergangenen Jahren jeweils ein bis zwei Aktien. Das Unternehmen rechnete deren Wert gerne auf die Gehälter drauf und kam so zu überzogenen Angaben über die angeblichen Einkommen der Beschäftigten. ver.di warnte schon 2021 in einem Flugblatt, dass Aktien ein zweischneidiges Schwert seien: „Wie wir gerade sehen, kann der Konzern die Ausgabe einfach nach Lust und Laune ausweiten, reduzieren oder ganz einstellen. Zum anderen fallen auf Erlöse aus den Aktien hohe Steuern an – schnell ist die Hälfte des angeblichen Geldsegens wieder dahin. Um die Steuern überhaupt bezahlen zu können, müssen die meisten Kolleginnen und Kollegen die erhaltenen Aktien sofort wieder verkaufen. (…) Außerdem täuscht der Aktienbesitz vor, dass man nun ‚Miteigentümer‘ des Unternehmens ist, damit man sich noch mehr mit ihm identifiziert. Tatsache ist aber, dass es weit über 400 Millionen Amazon-Aktien gibt – deine ein, zwei oder fünf Aktien sind also nicht der Rede wert, wenn es darum geht, die Entwicklung des Konzerns zu bestimmen!“

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"Kahlschlag bei Amazon", UZ vom 10. März 2023



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