Kaesers Perspektive

Roman Stelzig zu Siemens in Sachsen

Wie war das? „Es muss die Aufgabe von uns allen sein, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, einzubinden und ihnen Perspektiven zu geben. Für den Wohlstand im Lande, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für Frieden und Freiheit ist genau das letztlich entscheidend.“ Mit solchen salbungsvollen Worten kommentierte der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Joe ­Kaeser, im September das hohe Abschneiden der AfD bei der letzten Bundestagswahl.

Wie sich der Konzern-Chef die von ihm geforderte „Vierte Industrielle Revolution“ und die „Soziale Marktwirtschaft 2.0“ vorstellt, demonstrierte er nun mit der Entscheidung, weltweit 7 000 Arbeitsplätze an elf der 23 Produktionsstandorte „einzusparen“. In erster Linie sollen die Turbinenwerke in Leipzig und Görlitz geschlossen werden, womit ausgerechnet in dem Bundesland, in dem die AfD die stärkste Partei geworden ist, nach Angaben der IG Metall 1 200 Beschäftigte von einem Abbau ihres Arbeitsplatzes betroffen sind.

Schuld daran sind natürlich: Die Russlandsanktionen der Bundesregierung und der Umweltschutz. Das Exportverbot von Dampfturbinen für Kohlekraftwerke und die Einführung erneuerbarer Energien senken die Nachfrage nach Bauteilen zur Errichtung von Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.

Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der kürzlich seinen Rücktritt erklärt hatte, wusste das schon immer und wirbt seit Jahren für den Erhalt der Braunkohleindustrie in Sachsen. In einer aktuellen Stellungnahme an die neu zu besetzende Bundesregierung schrieb er: „Die erreichte CO2-Reduktion war für Ostdeutschland mit einem sehr hohen Preis – Verlust von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen sowie Abwanderung von Fachkräften – verbunden. Eine zweite Deindustrialisierungswelle ist für Ostdeutschland nicht verkraftbar.“ Es ist das Lied, das man den Deutschen seit Jahren singt: Ohne Krieg, Umweltzerstörung und Abgasbetrug werden wir hierzulande alle vor die Hunde gehen. Denn wer will schon in Frieden in einer intakten Umwelt leben, ohne sich 40 Stunden in der Woche für die Profite der deutschen Rüstungs-, Auto- und Kohleindustrie den Arsch aufzureißen – während z. B. Lehrer und Erzieher Sachsen verlassen, weil sie keine wirtschaftliche Perspektive für sich finden?

Dass der größte „Verlust von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen“ in Ostdeutschland seit 1990 durch Währungsunion und Verschleuderung von volkseigenen Betrieben an westdeutsche Konzerne entstanden ist, sagt der alte Schelm von der CDU natürlich nicht. Und auch nicht, dass die Siemens AG im vergangenen Jahr satte 6,2 Mrd. Euro Gewinn eingefahren und für 2017 schon eine weitere Steigerung angekündigt hat. Dies nicht zuletzt auch dank großzügiger Subventionen in den letzten 25 Jahren und einer „wert-konservativen“ Energie- und Industriepolitik der sächsischen Landesregierung. Dafür tritt der Siemens-Konzern seinem loyalen Interessenvertreter in Sachsen nun in der Stunde seines Rücktritts dezent in den Allerwertesten.

Aber wer weiß, vielleicht findet sich für Stanislaw Tillich in den Konzernetagen der Kohleindustrie demnächst ein sicheres Auskommen. Die sächsischen Arbeiter in Leipzig und Görlitz werden weniger weich fallen. An ihrer Entscheidung, aus Frust über die Verhältnisse weiterhin die AfD zu wählen, wird auch das kuschelige Bekenntnis des Joe Kaeser aus dem Jahr 2013 nichts ändern: „Mich treibt nicht das Geld. Mir ist wichtig, was die Menschen einmal über meine Amtszeit sagen.“

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"Kaesers Perspektive", UZ vom 24. November 2017



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