Vor 70 Jahren starb Hans Kahle

Kämpfer für die Freiheit

Von Werner Abel

Als Thomas Mann seine berühmte Feststellung traf, dass der Antikommunismus die Grundtorheit der Epoche sei, wird auch die Phantasie des großen Schriftstellers nicht für die Vorstellung gereicht haben, dass diese Grundtorheit eines Tages auch einen guten und vertrauten Freund seiner Familie treffen könnte.

1966 war die Sandstraße in Schwerin in Hans-Kahle-Straße umbenannt worden. Damit ehrte man den Kommunisten, Internationalisten, Intellektuellen, Spanienkämpfer und ersten Chef der Volkspolizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Die neuen „Demokraten“ der Schweriner Stadtverwaltung des Jahres 1991 hatten wohl irgendwie gehört, dass Hans Kahle Kommunist und Mitglied der ersten Landesleitung der SED gewesen war. Das schien ein ausreichender Grund zu sein, die Straße in Sandstraße zurück zu benennen. Auch das Hans-Kahle-Haus, in der DDR Sitz der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei, verlor den ehrenden Namen. Die Polizeidienststelle befindet sich noch immer in dem Gebäude, aber das Hans-Kahle-Haus gibt es nicht mehr.

Verehrung und Freundschaft der Familie Mann

Hans Kahle gehörte zu den ersten deutschen Freiwilligen, die im Frühherbst 1936 nach Spanien eilten, um die von den Putschisten und deutschen und italienischen Faschisten bedrohte, rechtmäßig gewählte Volksfrontregierung zu unterstützen. Er hatte großen Anteil an der Aufstellung der Internationalen Brigaden und der Neuorganisation der der Republik treu gebliebenen Einheiten der Armee. Nicht zuletzt war es militärisch erfahrenen Kadern wie ihm zu verdanken, dass in kürzester Zeit eine schlagkräftige Volksarmee geschaffen werden konnte. Das aber und seine intellektuelle Virtuosität brachten ihm die Verehrung und die Freundschaft der Familie Mann ein. Thomas Manns Kinder Klaus und Erika, die im Krieg Spanien bereisten und über das „Wunder von Madrid“ schrieben, nämlich die Rettung der Hauptstadt vor der faschistischen Invasion, hatten dem Vater von jenem preußischen Militär berichtet, der andererseits in jeder Hinsicht dem Stereotyp des preußischen Offiziers widersprach. Erika, das soll nicht unerwähnt bleiben, hatte sich in den hochgewachsenen Offizier verliebt, der in den Kampfpausen Tucholsky las und darüber sinnierte, eigentlich Pazifist zu sein, die Stunde für den Pazifismus aber noch nicht gekommen sah.

Als die Republik, maßgeblich bedingt durch den Verrat und den Boykott der westlichen Demokratien, den Kampf gegen die Putschisten verlor und die Regierung Negrín in der Hoffnung, die Italiener und Deutschen würden auch ihre Truppen aus Spanien abziehen, die Internationalen Brigaden demobilisierten, bot Thomas Mann Hans Kahle Zuflucht in seinem Haus in Princeton nahe New York an. Dass es dazu nicht gekommen ist, hatte Gründe, die Thomas Mann nicht beeinflussen konnte.

Vom Weltkriegsoffizier zum Kommunisten und Spanienkämpfer

Hans Kahle, geboren 1899, hatte nach der Absolvierung der Kadettenschule in Lichterfelde im 1. Weltkrieg als Leutnant an der Westfront gekämpft. Ihm gegenüber stand auf französischer Seite mit Jules Dumont ein Offizier, der später in der in Spanien von Hans Kahle befehligten Brigade Kommandeur des vornehmlich französischen Bataillons „Commune de Paris“ war. Sie vereinte nun auch, dass sie inzwischen beide Kommunisten geworden waren. Kahle erlebte das Ende des 1. Weltkriegs in französischer Gefangenschaft, als er nach Deutschland zurückkehrte, hatte sich die Welt geändert. Er begann zu studieren, arbeitete mehr und mehr journalistisch und als einer der wenigen Weltkriegsoffiziere, wie z. B. Ludwig Renn und Wilhelm Zaisser, die er dann in Spanien wiedertraf, schloss er sich der Arbeiterbewegung an.

1928 trat er in die KPD ein und übernahm die Leitung parteinaher Fachzeitschriften. Als kommunistischer Intellektueller musste er 1933 emigrieren und gehörte 1936 zu jener Initiativgruppe, die die Freiwilligen für Spanien organisierte. „In einem kleinen Bistro“, so schrieb er später, „trafen wir uns zum ersten Mal. Antifaschistische Emigranten – Kommunisten, Sozialisten, Parteilose – aus Holland, der Schweiz, aus Belgien und Frankreich, die die Schrecken der Konzentrationslager und das Elend der Emigration kannten, waren zu Fuß, mit Fahrrädern und nur wenige mit der Bahn nach Paris gekommen, um sich als Freiwillige für das Republikanische Volksheer Spaniens zu melden.

Die meisten kannten sich längst. Sie hatten in Deutschland oder in den Emigrationsländern zusammengearbeitet. Der große Gedanke der Solidarität verband sie untereinander, mit der Heimat und dem bisher so fernen Spanien. Die meisten hatten eine militärische Ausbildung, viele waren Kriegsteilnehmer oder hatten einige Jahre in der Reichswehr gedient, die übrigen hatte der Rote Frontkämpferbund zu Soldaten gemacht.“

Viel Zeit für eine weitere militärische Ausbildung blieb in Spanien nicht. Kaum in Spanien angekommen, wurde Hans Kahle Kommandeur des eben formierten Etkar-André-Bataillons, auch „Bataillon Hans“ genannt. Unter seinem Vornamen, mit dem er auch zahllose Artikel und vor allem seine Befehle unterzeichnete, sollte er fortan in Spanien bekannt werden. Sein Bataillon war Teil der 1. Internationalen Brigade, die entsprechend ihrer Eingliederung in die Volksarmee die Zahl XI erhielt. Noch im November 1936 wurde ihm das Kommando über diese Brigade übertragen, die ihre Feuertaufe in der Schlacht um das von den Faschisten bedrohte Madrid erhielt. An dem erwähnten „Wunder von Madrid“ hatten die XI. und die inzwischen von seinem guten Bekannten, dem ungarischen Schriftsteller Máté Zalka („General Lukacz“) neu gegründete XII. Internationale Brigade einen beträchtlichen Anteil. „Hans“ wurde kurz darauf mit dem Rang Teniente-Colonel (Oberstleutnant) Kommandeur der 17. Division und dann bis zum September 1938 der 45. Division der Spanischen Volksarmee. Damit war er neben Wilhelm Zaisser („General Gómez“) der einflussreichste deutsche Offizier in der republikanischen Armee.

Der „2. Kongress zur Verteidigung der Kultur“

Auf dem „2. Kongress zur Verteidigung der Kultur“, der im Juli 1937 in Madrid, Valencia, Barcelona und Paris stattfand, zeugte der Beifall, den „Hans“ für seine Rede am 6. Juli erhielt, von der Wertschätzung, die er seitens der Intellektuellen aus aller Welt erfuhr. Mit vielen von ihnen war er befreundet. Seine Rede hätten die „Demokraten“ in Schwerin zur Kenntnis nehmen müssen. Sie war geprägt von einer tiefen Humanität und außergewöhnlich für einen Militär. Neben der Würdigung, dass die vereinte Kraft der Arbeiter, Bauern und Intellektuellen diese neue Volksarmee geschaffen hatte, deren vornehmstes Ziel es war, die Demokratie zu verteidigen, wandte sich Hans Kahle besonders den kulturellen Problemen des Krieges zu. Die Armee kümmere sich auch um Bildung, Beseitigung des Analphabetismus und die Popularisierung von Kunst und Literatur. Jede Division, jede Brigade, jedes Bataillon habe eigene Zeitungen und aus den Schützengräben heraus entstünde in Form von Gedichten und Prosa eine neue Literatur. Einer seiner Kommandeure sei Schriftsteller, ein anderer Maler, ein dritter Komponist. Der schönste Augenblick des Krieges, sagte er, unterbrochen von Applaus, war, dass in den Ortschaften, die seine Einheiten besetzt hatten, der Schulunterricht für die Kinder aufrechterhalten werden konnte.

Zu seiner Division gehörten 14 000 Kämpfer, davon 4 000 Internationale und 10 000 Spanier, mit denen er sich, der fließend Spanisch sprach, in ihrer Muttersprache unterhalten konnte. Er war ohne Frage einer der beliebtesten Offiziere, weil er sich auch in den vordersten Linien um seine Männer kümmerte. Dabei fand er immer noch Zeit, sich mit Journalisten und Schriftstellern aus aller Welt zu treffen und mit ihnen zu diskutieren. Von seiner Popularität zeugt auch, dass von keinem anderen Offizier so viele Bilder in Zeitschriften und Zeitungen der Armee erschienen wie von ihm.

Emigration und viel zu früher Tod

Nach dem Abzug der Internationalen aus Spanien ging Hans Kahle über Frankreich nach England, wo er zunächst dort und dann in Kanada interniert war. Freigekommen durch internationale Proteste, so unter anderem durch seinen Freund Ernest Hemingway, lebte er seit 1943 wieder in England, gehörte zu den Gründern der „Bewegung Freies Deutschland in Großbritannien“ und schrieb in Zeitungen, Zeitschriften und Broschüren Analysen über den Krieg gegen Nazi-Deutschland und den Kampf der Roten Armee und der Anti-Hitler-Koalition. Noch heute ist z. B. seine Artikelserie „Der Krieg Monat für Monat“ in „The Volunteer for Liberty“, dem Organ der britischen Spanienkämpfer, von ungebrochenem Interesse.

Nach dem Sieg über den deutschen Faschismus stellte er sich sofort der demokratischen Neuordnung Deutschlands zur Verfügung und wurde Mitglied der Landesleitung der SED und Chef der Volkspolizei in Mecklenburg-Vorpommern. Am 1. September 1947 verstarb er im Alter von 48 Jahren an den Folgen einer schweren Magenoperation.

„In unserem Lager ist Deutschland“ hatte sein Freund Alfred Kantorowicz 1935 geschrieben. Das meinte, dass die Antifaschisten das wirkliche, das bessere Deutschland verkörpern.

Zu diesem Deutschland gehört auch Hans Kahle. Sich daran zu erinnern, hätte auch der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland mehr von Nutzen sein können als jene „Traditionspflege“, von der erst jüngst wieder aus der Bundeswehr berichtet wurde.

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"Kämpfer für die Freiheit", UZ vom 1. September 2017



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