Der Verfolgungswahn deutscher Behörden gegen die kurdische Freiheitsbewegung kennt bekanntlich keine Grenzen und scheut auch kein noch so abenteuerliches Konstrukt, um vermeintliche oder tatsächliche Aktive zu kriminalisieren. Doch was sich der polizeiliche Staatsschutz aktuell mit einer 18-jährigen Aktivistin erlaubt, ist ein juristisches Novum.
Vor Kurzem wurde bekannt, dass Solin G., Oberhausener Bürgerin mit kurdischen Wurzeln, bereits Anfang September aus politischen Gründen der Pass entzogen wurde. Darüber hinaus gab es eine polizeiliche Hausdurchsuchung in ihrem Elternhaus. Begründet werden der Entzug des Passes und die Einschränkung der Reisefreiheit mit den politischen Aktivitäten der jungen Erwachsenen. Solin G. ist in kurdischen Vereinen und der Jugendbewegung aktiv. In den behördlichen Schreiben wird angekündigt, die Papiere so lange einzubehalten, bis sie sich davon distanziere.
Familie G. war bereits 2020 ins Blickfeld des Staatsschutzes geraten. Zozan G., Mutter von fünf Kindern, darunter ihre älteste Tochter Solin, sollte aufgrund von politischen Aktivitäten im Kontext der kurdischen Freiheitsbewegung das Sorgerecht entzogen werden. Dies konnte durch zahlreiche Proteste in Oberhausen und der ganzen BRD abgewendet werden. Vor Gericht einigte man sich auf einen Vergleich. Dies war ein wichtiger juristischer Sieg gegen ein bis dahin nicht gekanntes Repressionsinstrument. Zum einen, weil die Kinder nicht auf Geheiß der Politischen Polizei ihrer Mutter entrissen werden konnten. Zum anderen war es eine wichtige Gerichtsentscheidung im Sinne der Meinungsfreiheit.
Jetzt betritt die gleiche Behörde erneut juristisches Neuland und lotet die Möglichkeiten aus, junge Aktivistinnen und Aktivisten unter massiven Druck zu setzen. Bisher konnten solche Maßnahmen nur an wegen PKK-Mitgliedschaft Verurteilten vollzogen werden. Schlimm genug. Doch nun sollen einer 18-Jährigen, die demnächst ihr Studium beginnen will, ein Türkeiaufenthalt bei Familienangehörigen und völlig legale und öffentliche Protestaktionen zum Verhängnis werden. Ihr werden die Grundrechte entzogen, um sie zur Aufgabe ihrer politischen Arbeit zu zwingen. Dies passiert nicht etwa im Iran oder in der Türkei, auch nicht in Syrien oder Irak, wo die Mehrzahl der kurdischen Bevölkerung lebt und um ihre Selbstbestimmung kämpft, sondern in Oberhausen.
Interessant ist auch der politische Kontext: Während Solin G. sich entschlossen hat, an die Öffentlichkeit zu gehen und sich nicht einschüchtern zu lassen, bombardiert die türkische Luftwaffe die kurdischen Autonomieregionen in Syrien und Irak. Unterstützt wird sie dabei von den iranischen „Revolutionsgarden“. Im Iran kämpfen Frauen, darunter viele Kurdinnen, seit Wochen unter Einsatz ihres Lebens für ihr Selbstbestimmungsrecht.
Neben dem Theater Oberhausen hängt ein Solidaritätsbanner mit dem Slogan: Jin, Jiyan, Azadi – zu Deutsch: Frauen, Leben, Freiheit! Ein Slogan der kurdischen Frauenbewegung, der nun erfreulicherweise in aller Munde ist, auch von Vertreterinnen und Vertreter der Ampel-Parteien. Doch keine fünf Kilometer entfernt wird die Wohnung einer Aktivistin gerazzt, die für genau diesen Slogan auf die Straße geht.
Das ist von Seiten der deutschen Politik an Heuchelei kaum zu überbieten. Bis zum Prozess Mitte Dezember sollten alle, die für Solidarität mit dem kurdischen Freiheitskampf, die für den Erhalt und Ausbau der Grundrechte stehen, die Zeit nutzen, um ihre Stimme für Solin G. erheben. Der Pass muss zurückgegeben und die Schikanen gegen Solin und die ganze Familie G. beendet werden. Es geht um viel und wenn wir viele sind, können wir gewinnen.
Unser Autor ist Bundessprecher der Roten Hilfe e. V.