Die SPD hat die Bundestagswahl knapp gewonnen. Ob sie die Regierungsmehrheit stellt und Olaf Scholz Kanzler wird, entscheiden FDP und Grüne. Ginge es nach den Erstwählern, kann dies auch gar nicht anders sein: Die Gruppe der Jungwähler zwischen 18 und 24 Jahren votierte nach einer Erhebung von „infratest dimap“ mit 23 Prozent für die Grünen und 21 Prozent für die FDP. CDU und SPD landen abgeschlagen auf den Plätzen 3 und 4, „Die Linke“ findet nur bei 8 Prozent Anklang.
„Hört auf die Jugend“ twitterte am Wahlabend die FDP-Militärpolitikerin Strack-Zimmermann. Derart beflügelt bewarb Christian Lindner (FDP) in der „Elefantenrunde“ ohne Umschweife seine Idee, Grüne und FDP müssten nicht warten, bis sie von SPD und CDU an den Verhandlungstisch gebeten werden. Er habe aus den letzten Koalitionsverhandlungen gelernt: „Wir sind auch 2021 nicht bereit, unser Land auf eine Linksdrift zu schicken“.
Die Juniorpartner könnten selbst das Heft in die Hand nehmen. Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) zollte diesem Vorschlag unverhohlen Sympathie. Während der verdutzte Olaf Scholz noch versuchte, sich auf die Situation einzustellen, steuerte Armin Laschet (CDU) bereits seine Überlegungen zu einer „Zukunftskoalition“ bei. Er klammert sich an die Hoffnung, trotz des schlechtesten Wahlergebnisses in der Geschichte der CDU eine Regierungsmehrheit jenseits der SPD zu organisieren. Doch Laschets Hoffnungen am Wahlabend wurden am Tag nach der Wahl bereits wieder zurechtgestutzt: Von einem „Regierungsauftrag“ für die CDU hat er inzwischen selbst Abstand genommen. Baerbock ließ auf einer Pressekonferenz am Montag durchblicken, sie wolle sich nach dem Austausch mit der FDP zuerst mit der SPD unterhalten. Wer Kanzler wird, werden also FDP und Grüne bestimmen.
„Im sehr kleinen Kreis“ (Anton Hofreiter) traf man sich (nach Redaktionsschluss) am 29. September. Die Beteiligten haben es eilig. Bevor überhaupt über Gemeinsamkeiten geredet wurde, hat die Spitze der Grünen bereits verkündet, dass sie in jedem Fall den Vizekanzler stellen will. „Gehen Sie davon aus, dass wir komplett sortiert sind“, sagte Robert Habeck. Vor allem auf den Feldern der „inneren Sicherheit“ und der Außenpolitik werden die Unterhändler beider Parteien rasch einen Konsens finden. Differenzen muss man hier mit der Lupe suchen: Über das Bekenntnis zu einer starken expansiven NATO, die Aufrüstung der Bundeswehr, den Einsatz von bewaffneten Drohnen und Auslandseinsätze ist man sich jetzt schon einig.
In beiden Wahlprogrammen wird die Übernahme der US-Präsidentschaft durch Joe Biden nahezu wortgleich als „Chance zur Erneuerung des transatlantischen Bündnisses“ gesehen. Während die FDP offen lässt, was konkret zu erneuern ist, legen die Grünen den Akzent auf eine größere Eigenständigkeit Europas innerhalb der NATO: „Partnership in leadership“. Im Rahmen der „aktiven Rolle“, die Deutschland international wahrnehmen müsse, seien vor allem die Bindungen zu Frankreich zu verstärken. Damit empfehlen sich die Grünen sowohl der CDU als auch der SPD und die FDP wird hier keine Hürde sehen. Auch die Zielsetzung bisheriger deutscher Außenpolitik, zur NATO-Aufrüstung mit 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beizutragen, steht für sämtliche Beteiligten des Koalitionspokers nicht in Zweifel.
Noch am ehesten scheiden sich bei Grün und Gelb die Geister beim Verhältnis zu China: Während die FDP in ihrem Wahlprogramm auf den Ausbau der Handelsbeziehungen und die Förderung des Dialogs setzt, setzen die Grünen vehement auf Konfrontation. Doch auch hier wird es zum anti-chinesischen Kompromiss kommen: In einem „Neun-Thesen-Papier“ des Grünen-Vordenkers Reinhard Bütikofer und des FDP-Bundestagsabgeordneten Olaf in der Beek vom Juni dieses Jahres steht es bereits: „Zu groß ist die Furcht vor vermeintlichen wirtschaftlichen Nachteilen. Diese Haltung des Wegduckens unterminiert nicht nur eine selbstbewusste gesamteuropäische China- und Asien-Strategie, sie schwächt auch Deutschlands Rolle in der Welt.“