junge Welt: Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vom 8. Juli aufgehoben; die DKP kann an der Bundestagswahl teilnehmen. Hat Sie die eindeutige Entscheidung zugunsten der Partei überrascht?
Patrik Köbele: Nur ein wenig. Für uns hat sich das rechtlich schon so dargestellt, dass dieses Konstrukt, das der Bundeswahlleiter angeboten hat, nämlich einen verspätet eingereichten zu einem nicht eingereichten Rechenschaftsbericht zu machen, eine Rechtsbeugung ist. Das sah das Verfassungsgericht offenbar auch so. Überrascht hat mich, dass das Gericht, das ja nicht als kommunistenfreundlich oder regierungskritisch bekannt ist, dann doch so konsequent war.
junge Welt: Was ja dafür spricht, dass die Rechtsauslegung durch den Bundeswahlausschuss und die Bundestagsverwaltung völlig unhaltbar war.
Patrik Köbele: Gerichte haben in dieser Gesellschaft einen Doppelcharakter. Sie sollen Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse erhalten und absichern und zugleich Auswüchse eindämmen. Und hier wurde ein solcher Auswuchs korrigiert.
junge Welt: Die wortkarge Kommunikation der Sachlage durch den Bundeswahlleiter und die Bundestagsverwaltung in den Monaten vor dem 8. Juli – insbesondere die nicht eindeutige Reaktion auf Fragen der DKP nach eventuellen Problemen wegen der verspäteten Rechenschaftsberichte – wirkt zumindest merkwürdig. Dazu kommt die eigenwillige Interpretation der fraglichen Rechtsnorm. Haben Sie den Eindruck, dass da eine Gruppe von hohen Beamten versucht hat, die DKP durch den Entzug des Parteienstatus gleichsam im Vorbeigehen aus dem Verkehr zu ziehen?
Patrik Köbele: Ja. Ein weiteres Indiz: Es gab im Juni einen brieflichen Kontakt zwischen dem Bundeswahlleiter und einem Referat des Bundestages. Dabei wurde von der Bundestagsverwaltung mitgeteilt: Die DKP hat unserer Auffassung nach keinen Parteienstatus mehr. Uns hat man bis zum 8. Juli im Dunkeln tappen lassen, aber untereinander haben sie sich signalisiert, dass man die Hunde loslassen kann. Wir haben davon erst im Zuge der Akteneinsicht im Rahmen unserer Beschwerde in Karlsruhe erfahren. Die haben sich abgestimmt und uns ins offene Messer laufen lassen.
junge Welt: Hat die beachtliche nationale und internationale Solidarität der DKP geholfen?
Patrik Köbele: Sie hat zunächst einmal verhindert, dass dieser Skandal hinter verschlossenen Türen vor sich gehen konnte. Auch viele Zeitungen im Ausland haben davon Notiz genommen. Und uns hat die Solidarität Kraft gegeben. Ich muss wirklich sagen, dass wir von der Welle der Solidarität fast überrollt wurden. An dieser Stelle ein Dankeschön an alle, die sich solidarisch gezeigt haben.
junge Welt: Die verspäteten Rechenschaftsberichte boten ohne Zweifel eine Angriffsmöglichkeit für den Staat. War die Aufmerksamkeit für derlei offene Flanken in der DKP in den vergangenen Jahren eine Spur zu gering?
Patrik Köbele: Vielleicht kann man uns vorwerfen, dass wir den Aussagen mancher Institutionen mit zu geringem Misstrauen begegnet sind. Wir haben immer wieder nachgefragt, ob uns wegen der Rechenschaftsberichte Sanktionen drohen. Es gibt ja durchaus auch die Möglichkeit, Zwangsgelder zu verhängen. Da wurde aber immer beruhigt und abgewunken. Und da hätten wir misstrauischer sein können. Die Rechenschaftsberichte bleiben für uns als kleine Organisation eine Herausforderung. Wir haben 80 rechenschaftspflichtige Einheiten. Das ist durchaus vergleichbar mit der Rechenschaftslegung eines größeren Unternehmens.
junge Welt: Die DKP ist seit sehr langer Zeit politisch und organisatorisch so geschwächt, dass sie Schwierigkeiten hat, außerhalb der organisierten Linken überhaupt wahrgenommen zu werden. Der Bundeswahlausschuss hat nun unfreiwillig für eine etwas größere Reichweite gesorgt. Gar nicht wenige Menschen werden sich in diesen Tagen erstmals genauer anschauen, was die DKP so macht. Gibt es Überlegungen, wie dieses Interesse in eine politische Stärkung verwandelt werden kann?
Patrik Köbele: Wir haben uns im Parteivorstand in der Tat bereits darüber verständigt, dass wir die nun vorhandene »Jetzt erst recht«-Stimmung nutzen müssen, um die DKP zu stärken. Diese Überlegung stand aber auch schon im Mittelpunkt, als wir uns dazu entschlossen haben, in diesen Wahlkampf zu gehen. Und im September gilt: Wer bei dieser Wahl eine Stimme abgeben will für eine sozialistische Alternative, für eine klare Haltung gegen die NATO, für Frieden mit Russland und China und für den Kampf gegen die Ausnutzung der Pandemie für Demokratieabbau und Sozialkahlschlag, der kann eigentlich nur uns wählen.
Quelle: junge Welt vom 29.07.2021