Eine kleine Anfrage im Bundestag brachte den Stein ins Rollen. „Die Linke“ wollte wissen, weshalb die „junge Welt“ als einzige Tageszeitung der Republik seit Jahren im Bundesverfassungsschutzbericht erwähnt wird. Die Antwort der Bundesregierung vom 5. Mai 2021 war schlicht und erschreckend: Die marxistische Grundüberzeugung der Zeitung „enthält als wesentliches Ziel, die freiheitliche Demokratie durch eine sozialistische/kommunistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen“. Außerdem teile die „junge Welt“ die Gesellschaft nach Klassenzugehörigkeit ein, dies widerspreche der „Garantie der Menschenwürde“.
Nun ist die „junge Welt“ weder Partei noch Zentralorgan einer solchen. Ihre Aufgabe ist nicht, eine andere Gesellschaftsordnung zu erkämpfen, sondern werktäglich eine gut gemachte Zeitung herauszugeben, die der Aufklärung dient, wofür sie marxistische Dialektik nutzt. Das reicht offensichtlich schon aus, um vom Staat offen bekämpft zu werden. Auf die Frage, ob der Bundesregierung bewusst sei, dass die Nennung einer Zeitung im Verfassungsschutzbericht zu massiven Grundrechtseinschränkungen führt, gibt diese zu, das solche Folgen beabsichtigt sind: „Es ist gerade das Ziel dieser Norm, die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren, um diesen damit den weiteren Nährboden entziehen zu können.“
Deshalb hat die „junge Welt“ am 8. September 2021 Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland beim Verwaltungsgericht Berlin erhoben, verbunden mit einem Eilantrag, dass bis zu einer endgültigen Entscheidung das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht weiter über die jW berichten darf. Ein halbes Jahr später schmetterte das Gericht zunächst den Eilantrag der „jungen Welt“ ab. Eine Eilbedürftigkeit konnte der Vorsitzende Richter Peters nicht erkennen. Vor allem aber bestätigte er bereits vor dem Urteil in erster Instanz dem Verfassungsschutz, korrekt gehandelt zu haben. Denn hinsichtlich der „jungen Welt“ bestünden „tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht dafür, dass von ihr die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung nach klassischem marxistisch-leninistischen Verständnis erstrebt wird“. So weit ging bisher noch nicht einmal der Verfassungsschutz. Gerne übernahm der Geheimdienst aber die Formulierungshilfe des Richters als neuen Stehsatz für folgende Verfassungsschutzberichte.
Beim Gerichtstermin am 18. Juli vor der ersten Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin schmetterte der Vorsitzende Richter Peters wenig überraschend das Anliegen der „jungen Welt“ in erster Instanz ab. Die zunächst mündlich von ihm vorgetragene Urteilsbegründung war wirr und konstruiert, aber Lenin spielte schon hier eine hervorgehobene Rolle: Die „junge Welt“ hege Sympathien für den Russen, der bekanntlich die FDGO bekämpft habe.
Drei Monate ließ sich der Richter dann Zeit für die schriftliche Urteilsbegründung, die seit dem 17. Oktober 2024 vorliegt. Zentraler Vorwurf ist die Behauptung, die jW strebe eine Einparteiendiktatur nach Leninschem Muster an. Allerdings gibt auch Richter Peters zu, dass (trotz jahrelanger Überwachung) nicht eine einzige Stelle in der jW zu finden ist, mit der diese Behauptung zu belegen wäre. Dafür findet er eine einfache Erklärung: „Taktisches Auslassen!“ Aber das sei egal, denn: Es reiche, „wenn auf die Verfassungsfeindlichkeit im Zusammenhang mit anderen Befunden geschlossen werden kann“.
Und solche „Befunde“ listet das Urteil dann auch auf: Die „junge Welt“ habe drei Bücher von und über Lenin publiziert, die Rubrik „Rotlicht“ mit dem Abbild von Marx, Engels und Lenin versehen, auf dem UZ-Pressefest eine Lenin-Bar betrieben, zwei Zeichnungen über Lenin veröffentlicht, vorgeschlagen, „sich mit dem theoretischen und politischen Erbe des Revolutionärs zu beschäftigen“. Dass die „junge Welt“ die Leninsche Einparteiendiktatur einführen will, erkenne man zudem an ihren positiven Bezügen zur DDR, zum sozialistischen Kuba und zur DKP. Deren Vorsitzendem Patrik Köbele räume sie „immer wieder die Möglichkeit ein, für seine politischen Inhalte medienwirksam zu werben“. Zwar kämen auch viele andere zu Wort, das aber „dürfte nur notwendiges Beiwerk (…) einer Tageszeitung sein, die ihre Leserschaft im linken Spektrum sucht“. Auch die sonstigen vielfältigen Themen der Zeitung seien nur „unauffällige Einbettung der Inhalte“, mit denen sie auf die Leninsche Einparteiendiktatur hinarbeite.
So geht es munter weiter. Neben den obengenannten Banalitäten wird auf den 49 Seiten der Urteilsbegründung auch gefälscht und konstruiert in einer Dichte und Vielfalt, die eine Gegenrede zu einem riesigen Kraftakt macht. Zwar hat Richter Peters eine Berufung nicht zugelassen, „weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung“ habe. Aber die „junge Welt“ lässt sich nicht einschüchtern und wird den Rechtsweg weiter beschreiten. Am vergangenen Freitag hat sie beim Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung beantragt.
Unser Autor ist Geschäftsführer der Verlag 8. Mai GmbH, die die Tageszeitung „junge Welt“ herausgibt.