Die Schriftstellerin, Drehbuch- und Hörspielautorin Christa Kožik wurde 1941 in Liegnitz (heute Legnica) geboren. Sie wuchs nach der Befreiung vom Faschismus bei Berlin auf und absolvierte eine Lehre als kartografische Zeichnerin. In der Zeitschrift „RotFuchs“ berichtete sie 2017 in einer vierteiligen Artikelserie über ihre Erfahrungen als Frau in der DDR. Wir haben die Artikel zusammengefasst und redaktionell gekürzt und bearbeitet.
Aus dem schüchternen Mädchen aus Randberlin war eine junge freche Frau geworden. Ich war jetzt Ehefrau eines Musikers und Mutter eines kleinen Jungen, Adrian, mit großen Ohren und großen Augen, der im Dezember 1963 auf die Welt kam. Der Alltag mit kleinen Kindern war in den 1960er Jahren viel schwieriger als heute. Es gab noch keine Waschmaschine, keine Spülmaschine, keine Fertiggerichte und vieles andere, was den Alltag leichter macht. Die Babywindeln aus Stoff wurden im großen Wäschetopf auf dem Herd gekocht. Wir jungen Mütter gingen jede Woche zur Säuglingsberatung im Wohnbezirk, da wurden unsere Süßlinge gewogen und gesundheitlich betreut. In eine Kinderkrippe wollte ich Adrian nicht geben. Ohnehin war es schwierig, einen Platz zu bekommen, da junge, alleinstehende Frauen bevorzugt wurden. Ich beschloss, mindestens zwei Jahre zu Hause zu bleiben, mich um Kind und Familie zu kümmern und zu schreiben. Christian, mein Ehemann, verdiente als Musiklehrer etwa 800 Mark.
Ich besuchte weiter alle 14 Tage den Zirkel schreibender Arbeiter im RAW Potsdam (Reichsbahnausbesserungswerk). Unser Zirkel hieß „Leben, Liebe, Zukunft“. Der Höhepunkt des Jahres war immer der einwöchige Lehrgang im Schriftstellerheim Petzow bei Werder, dem schönen weißen Haus am See. Das Haus gehörte dem Schriftstellerverband der DDR und ermöglichte jungen Nachwuchsschriftstellern eine Weiterbildung in Form von kostenlosen Lehrgängen. Alle, die fest angestellt arbeiteten, wurden von ihrem Betrieb dafür freigestellt und konnten dort Tag und Nacht dichten. Glückliche Zeit! Tagsüber schrieben wir, abends trafen wir uns im Kaminzimmer, um über unsere Texte zu sprechen.
Die kostenlosen Lehrgänge waren vor allem für uns Frauen eine Chance, dem Alltag mit Familie und Kindern für kurze Zeit zu entkommen und unbeschwert schreiben zu können. Manchmal setzten sich bekannte ältere Schriftsteller zu uns jungen Autoren, hörten unseren Lesungen zu und gaben gute Ratschläge.
Schreiben war mir nun zum Lebensbedürfnis geworden. Aber es drängte mich auch, mir ein geistiges Fundament zu schaffen. Deshalb bewarb ich mich im Frühjahr 1966 an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg für das Fach Szenarium/Drehbuch. Ich bestand die Aufnahmeprüfung, doch vor dem Studienbeginn im Herbst war ich wieder schwanger. Heulend erschien ich im Rektorat, um mein Studium vorerst abzusagen. Mit zwei Kleinkindern studieren, das traute ich mir nicht zu. Im Rektorat tröstete man mich. Ich könne mich in zwei Jahren wieder bewerben, die Aufnahmeprüfung gelte dann noch. Als unser zweiter Sohn Sebastian 1966 zur Welt kam, wurden wir eine kleine glückliche Familie.
In der Zeit zu Hause mit den Kindern konnte ich ihr Aufwachsen intensiv erleben, schrieb beglückt Tagesaufzeichnungen über beide, vor allem über ihre geistige Entwicklung, was mich bereicherte und mir später als poetisch-authentisches Material beim Schreiben meiner Kinderbücher und Kinderfilme half. Ich schrieb weiter Gedichte und Geschichten, trat bei öffentlichen Lyrikabenden auf, hatte kleine Erfolge, aber mir fehlte etwas.
Durch eine Zufallsbegegnung mit Fritz Gebhardt, der im DEFA-Kurzfilmstudio Babelsberg arbeitete und den ich von Lyrikabenden kannte, bekam ich eine Ermutigung. Fritz hatte mich gefragt, welches meiner Gedichte mir das liebste wäre. Ich zeigte auf meine beiden kleinen Spitzbuben, die ich rechts und links an der Hand hatte. „Da! Das sind meine liebsten Gedichte.“ „Aber du willst doch nicht ewig zu Hause bleiben?“ Auf diesen Satz hatte ich gewartet. Auf seinen Hinweis bewarb ich mich im DEFA-Kurzfilmstudio Babelsberg. Ich bekam eine Stelle als Dramaturgie-Assistentin und konnte beide Kinder, jetzt zwei und fünf Jahre, im kleinen Betriebskindergarten unterbringen, für nur 50 Pfennig Essensgeld pro Kind pro Tag. Der Kindergarten war vom Frauenausschuss des Betriebes eingerichtet worden. Das war gesetzlich verankert. Betriebe mussten den arbeitenden Frauen möglichst Kindergartenplätze im Betrieb bieten. So konnte ich jeden Morgen mit meinen beiden Kindern zur Arbeit gehen, sie im Kindergarten gegenüber von meinem Büro abliefern, sie mittags streicheln und zum Feierabend mit ihnen nach Hause gehen. Als Mitglied des Elternaktivs organisierten wir für die Kindergartenkinder Filmveranstaltungen oder die Unterbringung im Betriebsferienlager in der Vorsaison an der Ostsee, für winzige Geldbeträge.
Die guten Gesetze zur Bildung und Förderung von Frauen kamen mir auch insofern zugute, als mich das Kurzfilmstudio einige Zeit später zum Dramaturgiestudium an die Filmhochschule Babelsberg delegierte. Die Kinder konnten während des Studiums weitere Jahre im Kindergarten bleiben. Im Rahmen eines Frauen-Sonderstudiums absolvierte ich meine Studienzeit an der Hochschule für Film und Fernsehen von 1970 bis 1976 und bekam Unterstützung, sowohl von meinem Betrieb als auch von der Hochschule. Diese hohe Belastung zwischen Arbeit, Hochschulstudium, Haushalt und kleinen Kindern war ein hartes Programm, das mich manchmal fast verzweifeln ließ. Denn ich wollte ja auch das Schreiben nicht vernachlässigen. Damals schrieb ich den Kindertrickfilm „Der Löwe Balthasar“ und den Kinderdokumentarfilm über Angela Davis „Für Angela“, die beide vom Studio produziert wurden. Auch die Geschichte vom „Schneemann für Afrika“ fällt in diese Zeit, die für mich eine Zeit höchster Produktivität war, aber auch höchster Anspannung.
Die guten Gesetze zur Gleichberechtigung der Frauen in der DDR konnten mich natürlich nicht vor der Zerrissenheit aller arbeitenden Frauen schützen. Zwar hatten wir uns die Emanzipation ganz zu eigen gemacht, sie war im Alltag aber schwer durchzusetzen, wenn man einen sturen Mann hatte, der den Anteil an der Hausarbeit und Kinderbetreuung verweigerte. Und ich gehörte zu den Frauen, die die Gleichberechtigung mit dem Mann anstrebten und nicht gegen den Mann, so wie es Maxie Wander in ihrem Buch „Guten Morgen, du Schöne“ vermittelte und wie es dem Zeitgeist in der DDR entsprach.
Dennoch waren die 1970er Jahre für uns junge Frauen ein großes Glück. Die Revolten der 68er Bewegung hatten uns ermutigt und im Privatleben ein wichtiges Mittel zur Selbstbestimmung gebracht: die „Antibabypille“. Wir bekamen die Pille kostenlos auf Rezept. Familienplanung war nun nicht mehr von Männern dominiert. Für die meisten Frauen war das ein wichtiger Schritt zur Selbstverwirklichung.
Das zerrissene Ich war nun mein ständiger Begleiter. Die Arbeit im Kurzfilmstudio Babelsberg, das Dramaturgiestudium an der Filmhochschule, die Prüfungen, das Schreiben von Gedichten und Filmgeschichten, meine zwei kleinen Spitzbuben mit dem Temperament von Max und Moritz, der große Haushalt mit vielen Gästen und ein Musiker-Mann aus edlem Macho-Urgestein, das war ein hartes Pensum. Wir führten ein offenes Haus, und mancher, der den letzten „Sputnik“ (auf dem Berliner Außenring verkehrender Nahverkehrszug) nach Berlin verpasste, fand bei uns einen Schlafplatz. Am meisten plagte mich neben der ständigen Erschöpfung die Sorge, für die Kinder nicht genügend Zeit und Aufmerksamkeit zu haben. Zum Glück half mir meine Mutter in dieser Zeit sehr. Ohne sie hätte ich den Belastungen nicht standhalten können. Oft gab es heftige Kämpfe zwischen Christian und mir um geteilte Pflichten im Haushalt. Das verband mich mit Hunderttausenden arbeitender oder studierender Frauen im Land.
Trotz aller Anspannung fühlte ich mich auf dem richtigen Weg, mir ein geistiges Fundament fürs Schreiben zu schaffen. Hilfe bekam ich von vielen Seiten. Meine Mitstudentinnen schrieben für mich die Vorlesungen auf Kohlepapier mit, wenn die Kinder krank waren. Oder sie erzählten mir die Filme zu Ende, die ich früher verlassen musste, um die Kinder vom Schulhort abzuholen. Oder wir lernten vor wichtigen Prüfungen bei mir zu Hause. Es war immer ein Gefühl der Hilfe und Solidarität, das mich umgab.
Den Sozialismus in der DDR wünschte ich mir weniger dogmatisch und weniger von der Sowjetunion abhängig, offener und vertrauensvoller. Und ich glaubte fest, dass wir Jüngeren eine Chance hatten, ihn zu reformieren.