Der Journalist und Wikileaks-Gründer Assange ist wieder frei, die Pressefreiheit muss weiter verteidigt werden

Julian, der Kampf geht weiter

Die globale Kampagne „Free Assange“ hat gewonnen. Der Journalist und Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks ist seit dem 26. Juni wieder ein freier Mann. Nach sieben Jahren im politischen Asyl in den Räumen der ecuadorianischen Botschaft in London und fünf Jahren und vier Monaten in einer Zelle im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, berüchtigt als britisches Guantánamo, ist Julian Assange erhobenen Hauptes und mit geballter Faust sicher in Canberra in seinem Heimatland Australien gelandet. Erstmals hat er seine Frau Stella in Freiheit küssen und seinen Vater John Shipton wieder in die Arme schließen könne – gefeiert von Unterstützern, die zum Flughafen gekommen waren. Die Bilder gingen um die Welt. Gabriel (7) und Max (5) können ihren Vater außerhalb der Gefängnismauern sehen.

Am Mittwoch dieser Woche wurde Julian Assange 53 Jahre alt. Ein Viertel seines Lebens war er wegen seiner journalistischen Arbeit seiner Freiheit beraubt worden. Dieser 3. Juli konnte nunmehr von unzähligen Unterstützergruppen weltweit als Geburtstag und Freiheitstag gefeiert werden. Freedom Day. Der Sieg des Lebens über den leisen Tod auf Raten, der Sieg der Freiheit über Folter und lebenslange Haft, der Sieg eines Journalisten und seiner Unterstützer gegen das US-Imperium kann nicht hoch genug eingeschätzt und gewürdigt werden. Und er muss gegen die Erbsenzähler, Sektierer und Besserwisser verteidigt werden.

Dass Julian Assange am 24. Juni aus Belmarsh entlassen und mit einer Chartermaschine gen Heimat geflogen wurde, ist für viele überraschend gekommen. Tatsächlich haben parallel zu den politischen Druck erzeugenden öffentlichen Protesten diplomatische Initiativen Wirkung entfaltet. Assanges Anwälten war es gelungen, einen „Deal“ mit der US-Regierung zu schließen. Der Vereinbarung zufolge hat die Regierung von Präsident Joseph Biden 17 von 18 Anklagepunkten fallen gelassen, Assange musste sich dafür in einerVerhandlung formal schuldig bekennen, die seine journalistische Tätigkeit als Verstoß gegen den Espionage Act deklariert, das US-Spionagegesetz aus dem Jahr 1917. Darauf bestand das US-Justizministerium. Die Veröffentlichung von Dokumenten, die Kriegsverbrechen der US-Armee und ihrer NATO-Verbündeten belegen, die das System der geheimen CIA-Foltergefängnisse ans Licht bringt, die Zustände in Guantánamo publik macht, all das und vieles andere mehr soll Washington zufolge als Spionage gelten.

Vor einem US-Bundesgericht auf Saipan, der Hauptinsel der von den USA als „Außengebiet“ beanspruchten Nördlichen Marianen im Pazifik, erklärte Assange laut einer publik gewordenen Audiodatei zu dem verbliebenen Anklagepunkt zur journalistischen Arbeitsweise: „Als Journalist habe ich meine Quelle ermutigt, mir Informationen zu geben, die als geheim galten, um diese Informationen zu veröffentlichen.“ Und weiter dann: „Ich glaube, dass der erste Verfassungszusatz diese Tätigkeit schützt, aber ich akzeptiere, dass dies, so wie es hier niedergeschrieben ist, einen Verstoß gegen das Spionagegesetz darstellt.“ Assange abschließend: „Ich glaube, dass der erste Verfassungszusatz und der Espionage Act im Widerspruch zueinander stehen, aber ich akzeptiere, dass es unter den gegebenen Umständen schwierig wäre, einen solchen Fall zu gewinnen.“

Im Rahmen der Vereinbarung wurde Assange zu den fünf Jahren verurteilt, die er bereits in Britannien im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verbüßt hatte, so dass er im unmittelbaren Anschluss nach Australien zurückkehren konnte. Die US-Justiz hat vor dem Gericht auf Saipan eingeräumt, es gebe keine Beweise dafür, dass irgendjemand irgendwo auf der Welt durch die Veröffentlichungen von Wikileaks Schaden erlitten hat – was das State Departement in Washington und den angeschlossenen transatlantischen Journalistentross nicht davon abgehalten hat, nach Assanges Ankunft in Australien weiter das Gegenteil herbeizulügen.

„Wenn Julian sich vor dem Bundesgericht in Saipan schuldig bekannt hat, dann deshalb, weil er sich schuldig bekannt hat, Journalismus begangen zu haben“, sagte Stella Assange. „Dieser Fall kriminalisiert Journalismus – journalistische Tätigkeit, journalistische Standardtätigkeit der Nachrichtenbeschaffung und Veröffentlichung. Und das ist die Realität dieser Anklage. Es ist der Fall, der niemals hätte angeklagt werden dürfen. Aber das Wichtigste ist, dass Julian frei ist … Und wir können das hinter uns lassen.“ Sie dankte im Namen ihres Mannes allen Unterstützern für die unermüdliche Arbeit und verwies darauf, dass dieser nun Zeit brauche, sich zu erholen.

Es obliegt jetzt Menschenrechtsorganisationen, Presseverbänden und kritischen Juristen, den Umgang der US-Regierung in dem Fall weiter zu problematisieren und vor US-Gerichten grundsätzlich prüfen zu lassen, ob mit dem an Assange statuierten Exempel Journalismus Spionage ist und das Spionagegesetz über dem ersten Verfassungszusatz steht, der doch ausdrücklich die Rede- und Pressefreiheit garantiert. Julian Assange hat größte Dankbarkeit verdient für die immensen Opfer, die er in der Verteidigung der Pressefreiheit und für die Aufdeckung von Kriegsverbrechen gebracht hat. Seine Gesundheit wurde in den Jahren der US-Verfolgung ruiniert. Der UN-Sonderbeauftragte für Folter, Nils Melzer, erklärte in einem gemeinsam mit Ärzten verfassten Bericht, dass Assange typische Folgesymptome lang dauernder psychischer Folter aufweise.

Der Deal, den Julian Assange gemacht hat, um buchstäblich sein Leben zu retten, wird zum Desaster für die Pressefreiheit, wenn sich die Presse nicht dagegen wehrt und Washington damit davonkommen lässt. Es wäre eine wichtige Geste der Solidarität und klaren Parteinahme für die Pressefreiheit, würden die großen Medien, die mit Wikileaks früher bei Veröffentlichungen kooperiert und Kasse gemacht haben, darunter „Der Spiegel“, „El País“, „Le Monde“, der „Guardian“ und die „New York Times“, demonstrativ die 500.000 US-Dollar übernehmen, die der Charterflug für Assange in die Freiheit gekostet hat.

Die Verurteilung auf den Nördlichen Marianen ist das Ende eines für alle offensichtlich politisch motivierten Prozesses. Nach der Freilassung steht eine Entschuldigung bei Julian Assange aus, dass er überhaupt verfolgt wurde – und natürlich eine Anklage der Kriegsverbrecher, allen voran George W. Bushs, für seinen auf Lügen begründeten völkerrechtswidrigen Überfall auf den Irak 2003, der das Land und die Region bis heute destabilisiert.

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"Julian, der Kampf geht weiter", UZ vom 5. Juli 2024



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