Zu fehlenden Ausbildungsplätzen und miesen Lernbedingungen

Jugend als Kriegsreserve

Wenig Lust auf Bundeswehr-Karriere: Junge Deutsche lassen Pistorius im Stich“, titelte die „Frankfurter Rundschau“ am 20 Juli. Nicht nur im Handwerk, dem Gaststätten- und Hotelgewerbe oder im Gesundheitswesen fehlt es an Nachwuchs. Auch der Bundeswehr mangelt es an künftigem Kanonenfutter. Das ehemals linksliberale Blatt beruft sich auf die Wehrbeauftragte Eva Högl, die vor einem Mangel an Rekruten warnte. Es sei fraglich, ob die bisherigen Maßnahmen ausreichen, um in Zukunft genügend Soldatinnen und Soldaten für einen Dienst an der Waffe zu verpflichten, sagte die SPD-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Um eine Karriere bei der Bundeswehr attraktiv zu machen und so die Zielmarke von 203.000 Soldaten bis 2030 zu erreichen, müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden.

Während man in Berlin darüber nachdenkt, das „Kriegshandwerk“ attraktiver zu machen, grüßt im Bereich der zivilen Ausbildung weiterhin das Murmeltier: Es herrsche Fachkräftemangel und freie Arbeitsplätze und Lehrstellen könnten nicht besetzt werden, ist wie immer kurz vor Beginn des Ausbildungsjahres von der Kapitalseite zu hören. Um diesem Mantra einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen, veröffentlichte das Institut der Deutschen Wirtschaft bereits im April entsprechende Daten. So konnten im vergangenen Jahr mehr als 630.000 offene Stellen für Fachkräfte nicht besetzt werden, weil es angeblich keine Arbeitsuchenden mit der erforderlichen Qualifikation gibt. Dies sei die größte Fachkräftelücke seit Beginn des Beobachtungszeitraums im Jahr 2010, so das arbeitgebernahe Institut.

Nicht erwähnt wird, dass auch die Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss so groß ist wie nie. Aus dem „Ausbildungsbericht 2023“ der Bundesregierung geht hervor, dass 2,64 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren in Deutschland keinen Berufsabschluss haben. Da die Zahl der Ausbildungsbetriebe seit Jahren kontinuierlich zurückgeht, ist davon auszugehen, dass die Zahl in den kommenden Jahren weiter steigen wird. Gleichzeitig gibt es ein großes Potenzial an Ausbildungsinteressierten, die aber bei der Suche nach einer Ausbildung keine Chance erhalten. Trotz unbesetzter Ausbildungsstellen sind auch im letzten Jahr 239.090 Jugendliche in den diversen Maßnahmen des Übergangsbereichs gelandet. Dies entspricht einer Steigerung von 6,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Trotz dieser dramatischen Entwicklung wird weiterhin die Legende vom fehlenden Interesse und mangelnder Ausbildungsreife der Jugendlichen gestrickt. Über die Ausbildungsreife zahlreicher Unternehmen wird von den Verantwortlichen aus Wirtschaft und Politik kein Wort verloren. Hierüber gibt jedoch der jüngste Ausbildungsreport der DGB-Jugend Auskunft: Fast 40 Prozent der Auszubildenden wissen selbst im letzten Ausbildungsjahr noch nicht, ob sie von ihrem Betrieb übernommen werden. Etwa ein Drittel berichtet über ausbildungsfremde Tätigkeiten. Dies sind neben der häufig geringen Ausbildungsvergütung nur einige Beispiele dafür, warum 16 Prozent der befragten Azubis eine Ausbildung in ihrem Betrieb nicht weiterempfehlen würden.

Diese Fakten verdeutlichen, dass, wenn der vielbeschworene „Fachkräftemangel“ nachhaltig behoben werden soll, vor allem die Qualität und damit die Attraktivität der dualen Ausbildung deutlich erhöht werden muss. Ändert sich hier nichts, wird auch das Reservoir, in dem die Bundeswehr fischt, immer größer. Vielleicht ist dies nicht explizit gewollt, wird aber in Zeiten eines blutigen Stellvertreterkrieges billigend in Kauf genommen.

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"Jugend als Kriegsreserve", UZ vom 28. Juli 2023



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