Dass die Rüstungsindustrie infolge der Kriegs- und Aufrüstungspolitik der Bundesregierung einen Boom erfährt, ist weitgehend bekannt. Weniger Aufmerksamkeit bekommt die Tatsache, dass sich dies auch auf andere Branchen und auf den Arbeitsmarkt insgesamt auswirkt. Verschiedene Großprojekte sind bereits angelaufen, darunter schwere Waffenträger für die Infanterie des Heeres, Flugabwehrsysteme, Logistikfahrzeuge und natürlich viel mehr Munition.
Die Rüstungsindustrie braucht, um diese Aufträge erfüllen zu können, größere Kapazitäten und natürlich auch Produkte aus dem Maschinenbau. Rheinmetall-Chef Armin Papperger beschreibt dies so: „Für unsere Waffensystemfertigung benötigen wir unter anderem moderne CNC-Maschinen. Speziell für die Herstellung von Munition benötigen wir Laborieranlagen, Pressen, Öfen, Füllanlagen oder Sortieranlagen.“
Stefan Stenzel ist Geschäftsführer des Zulieferers Vincorion, bis 2021 eine eigenständige Marke für das mechatronische Geschäft von Jenoptik. Stenzel stellt dar, wie der Rüstungsboom auf Zulieferer und Maschinenbauer rückwirkt: „Die Auftragslage ist ganz klar besser geworden. Wir können eine Reihe von Aufträgen für die Zulieferung zu den Panzerfahrzeugen Leopard 2 und Puma verbuchen (…). Auch für die Luftabwehrsysteme Patriot und IRIS-T gibt es neue Aufträge, ebenso haben wir Entwicklungsaufträge für neue mobile Stromerzeugungsaggregate von der Bundeswehr erhalten (…). Deshalb konnten wir die Zahl der Mitarbeitenden in den letzten zwölf Monaten auch um 10 Prozent aufstocken und werden es um weitere 10 Prozent ausbauen. Wir suchen also Fachkräfte, die wir glücklicherweise noch finden.“ So werden auch im Maschinenbau immer mehr Beschäftigte Teil des Aufrüstungsprogramms und der Rüstungsproduktion.
Und woher kommen die Beschäftigten für Maschinenbau und Rüstung? Von der Automobilindustrie und ihren Zulieferern. Dort werden weiterhin Arbeitsplätze abgebaut. Beispiel Rheinmetall: Der Rüstungskonzern will Beschäftigte übernehmen, die zuvor beim Zulieferer Continental gearbeitet haben. Continental hat die Schließung seines Standorts in Gifhorn bis Ende 2027 angekündigt. Beide Unternehmen teilten gemeinsam mit, dass bis zu 100 Conti-Beschäftigte aus Gifhorn direkt zum Rheinmetall-Standort Unterlüß wechseln sollen. Dort will Rheinmetall Artilleriemunition, Sprengstoff und Komponenten für Raketenartillerie produzieren. Weitere 500 neue Arbeitsplätze sind geplant.
Und nicht nur Facharbeiter können wechseln. Rheinmetall sucht auch Software-Experten – und wie der Zufall will, Continental baut im Softwarebereich Arbeitsplätze ab. Beschäftigte aus Lindau am Bodensee könnten zum Rheinmetall-Standort Stockach am Bodensee wechseln. Dort entwickelt Rheinmetall unter anderem elektronische und optische Systeme.
Aber auch Bosch, ZF und Mahle sind im Austausch mit dem Waffenhersteller. Denn auch dort werden Arbeitsplätze abgebaut. Ein ZF-Sprecher bestätigt dies: „Seit ZF angekündigt hat, seine Produktion am Standort Gelsenkirchen bis zum Jahresende 2024 zu beenden, sind einige namhafte Unternehmen mit Bedarf an gut qualifizierten Facharbeitern auf uns zugekommen – darunter auch solche, die in Zusammenhang mit der ‚Zeitenwende‘ eine Sonderkonjunktur haben.“ Auch mit Stiebel Eltron und Siemens Mobility hat Continental bereits Vereinbarungen zu einem Mitarbeiterwechsel getroffen. Diese Beispiele zeigen, wie das Kapital sich gegenseitig unterstützt und so den Kriegskurs der Bundesregierung zum Erfolg führt. Die Beschäftigten werden hin und her verschoben, mal da und dort ausgebeutet, wie das Kapital und seine Regierung es benötigt.
Dazu kommt, dass Fahrzeughersteller verstärkt in die Rüstungsproduktion einsteigen. So der Lkw-Hersteller Daimler Truck, der seither Motoren für militärische Lkw oder Unimogs lieferte. Zukünftig bietet er seine Lkw-Modelle mit einer durch Panzerung geschützte Fahrerkabine an. Die entsprechende Variante des dreiachsigen, allradgetriebenen Fahrzeugs Mercedes-Benz Zetros wurde im Juni auf der Militärmesse Eurosatory in Paris vorgestellt. Es war bisher bereits möglich, dass das Fahrzeug durch Drittfirmen nachgerüstet werden kann. Jetzt will Mercedes dies gleich ab Werk selbst anbieten. Die Panzerung soll die Besatzung gegen Beschuss, Minen und Sprengfallen schützen. Die direkte Rüstungsproduktion spielt also auch bei Fahrzeugherstellern eine größer werdende Rolle.
Eigentlich müsste die IG Metall – die Gewerkschaft, die diese Branchen organisiert – gegen derartige Entwicklungen Sturm laufen. Denn auf dem Gewerkschaftstag im Oktober letzten Jahres wurde beschlossen, dass sich die IG Metall für Rüstungskonversion einsetzt. Doch statt Konversion wird die Rüstungsproduktion ausgeweitet und auf andere Branchen ausgedehnt. Also: Wo bleibt der Aufschrei?
Genau diese Entwicklung einer Ausweitung der Rüstungsproduktion entspricht dem Papier des IG-Metall-Vorstands unter dem Titel „Industriepolitische Leitlinien und Instrumente für eine zukunftsfähige Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“. Es wurde zusammen mit dem SPD-Wirtschaftsforum und dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) vereinbart (UZ vom 23. Februar) und hat in der praktischen Arbeit des IG-Metall-Vorstands offenbar einen höheren Stellenwert als die einige Monate zuvor auf dem Gewerkschaftstag gefassten Beschlüsse.