Jetzt geht’s los

Christa Hourani im Gespräch mit Michael Clauss

Zum aktuellen Tarifkampf der IG Metall sprachen wir mit Michael Clauss, IG Metall-Betriebsrat im Mercedes-Benz-Werk Untertürkheim. Michael Clauss ist Mitglied der Tarifkommission Baden-Württemberg und Mitglied der Betriebsgruppe „alternative“.

UZ: Am Wochenende sind die Verhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie ergebnislos abgebrochen worden. Was sind die hauptsächlichen Gründe dafür?

Michael Clauss: Es gibt mehrere Gründe. Der Unternehmerverband will keine verkürzte Vollzeit. Die Herren würden viel lieber die Arbeitszeit verlängern. Sie wollen auch definitiv keinen Ausgleich irgendwelcher Art für Schichtarbeitende, Erziehende oder Pflegende. Für sozialpolitische Aufgaben fühlen sie sich nicht zuständig. Die Forderungen der IG Metall und das Angebot der Arbeitgeberverbände lagen vom Volumen her einfach sehr weit auseinander, auch beim Entgelt. Da war eine Einigung nicht möglich.

UZ: Die IG Metall hat ja im Laufe der Verhandlungen ihre Forderung von verkürzter Vollzeit mit Teillohnausgleich umgewandelt, weil die Unternehmerverbände mit Klage gedroht hatten, da die Forderung diskriminierend sei für die, die bereits in Teilzeit sind und Kinder betreuen oder Angehörige pflegen.

Michael Clauss: Ja, das stimmt. Um dem Diskriminierungsvorwurf zu entgehen, hat die IG Metall die Forderung abgeändert und vorgeschlagen, das Urlaubsgeld zu erhöhen und den Beschäftigten die Wahlmöglichkeit zu geben, Geld oder Zeit, also Umwandlung des Geldes in zusätzliche freie Tage. So hätten alle Beschäftigten, auch die Teilzeiter, die Möglichkeit, einige Urlaubstage mehr zu genießen oder mehr Urlaubsgeld zu erhalten. Der Diskriminierungsvorwurf war hinfällig. Das hat Südwestmetall ziemlich angekotzt. Sie hätten es lieber gehabt, wenn die IG Metall bei ihrer Forderung geblieben wäre.

UZ: Wie sind die Debatten um die Forderung in der Tarifkommission gelaufen?

Michael Clauss: Zu Beginn der Forderungsdiskussion war die Tarifkommission sehr gespalten. Etwa ein Drittel wollten schon damals fünf Tage mehr Urlaub statt der verkürzten Vollzeit, weil es kollektiv gewirkt hätte. Mit dem Versprechen, dass die Themen Mitbestimmungsrechte bei Personal- und Leistungsfestsetzung im indirekten Bereich in die Verhandlungen einfließen würden, konnte die Minderheit eingefangen werden.

UZ: Welche Gefahren und Nachteile birgt denn dieser neue Vorschlag mit dem Urlaubsgeld?

Michael Clauss: Für das Jahr 2018 ist eine reine Entgelterhöhung im Gespräch. Das Urlaubsgeld würde dann erst in 2019 greifen. Da würde es dann aber keine zusätzliche Entgelterhöhung geben. Wer sich für Geld entscheidet, hätte dann zwar auf das Jahr gesehen, einen Ausgleich für z. B. die Inflation. Aber die Erhöhung fließt ja nicht in die Entgelttabelle ein. Viele andere Bausteine hängen aber am Monatsentgelt, wie zum Beispiel die Rentenhöhe, das Krankengeld, das Weihnachtsgeld. Überall da gäbe es Verluste. Das ist natürlich schwierig zu überschauen und die Wirkung zu berechnen, muss aber mit bedacht werden. Denn hier fehlt das Geld immer, Jahr für Jahr, und der Arbeitgeber spart es Jahr für Jahr.

Wer sich für Zeit entscheidet, hat all diese Nachteile natürlich auch und darüber hinaus noch nicht einmal die Inflation ausgeglichen und bezahlt seine freie Zeit aus der eigenen Tasche.

Der zuerst geforderte Teillohnausgleich für Schichtarbeitende, Erziehende und Pflegende würde bei der neuen Variante auch viel geringer ausfallen. Da waren nur noch zwei zusätzliche bezahlte Tage pro Jahr im Gespräch. Das wäre wesentlich weniger als die Ursprungsforderung.

UZ: Für die nächsten Tage wurden ganztägige Warnstreiks in mehr als 250 Betrieben beschlossen. Gab es dazu in der Tarifkommission längere Diskussionen oder fand dies sofort eine breite Zustimmung?

Michael Clauss: Nachdem bekannt wurde, wie weit Forderung und Angebot auseinander liegen, gab es sofort eine ganz breite Zustimmung. Es gab stehende Ovationen für die ganztägigen Streiks. Fast alle sind aufgestanden. Ein gutes Gefühl. Große Geschlossenheit. Wir haben aber auch das ganze letzte Jahr über die zusätzliche Eskalationsstufe diskutiert. Insbesondere den Vertretern der Großbetriebe in der Tarifkommission war dies sehr wichtig. In den Großbetrieben ist das Vertrauen in den Vorstand, dass sie für harte Auseinandersetzungen bereit sind, nicht sehr groß. Mit den Streiks kann die IG Metall wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen, dass sie den Interessensgegensatz ernst nimmt und kämpft.

Die Ganztages-Warnstreiks sind ein wirksames Druckmittel – und zwar ohne dass das „Damoklesschwert“ der kalten Aussperrung über uns schwebt. Da können wir wieder üben. Auch Erzwingungsstreiks müssen geführt werden – davor ist die Organisation seit Jahrzehnten vor lauter Angst vor Aussperrung zurückgewichen. Aber so werden wir das Damoklesschwert nicht wegbekommen. Nur in einer Eskalation können wir kalte Aussperrung wegkämpfen.

UZ: Wie laufen im Mercedes-Benz-Werk Untertürkheim die Vorbereitungen auf die Streiks?

Michael Clauss: Ab Donnerstag wird bei uns 24-Stunden alles still stehen. Wir fangen in der Nachtschicht an, Freitag geht es mit der Früh- und Spätschicht weiter. Es wird eine sehr begrenzte Notdienstvereinbarung geben. Während der Streiks wird es keine Verhandlungen geben. Die Warnstreikaktionen der vergangenen Wochen hatten in allen Werkteilen und Schichten eine hohe Zustimmung und Beteiligung. Auch die qualitativen Forderungen zur Arbeitszeit hatten eine breite Unterstützung. Die Kampfbereitschaft ist hoch, was auch der große Beifall auf der Kundgebung am 18. Januar für einen ganztägigen Streik vor dem Untertürkheimer Tor zeigte.

Sollten dann Verhandlungen am Wochenende bis nächsten Montag nichts ergeben, wird aus heutiger Sicht vom 6. bis 8. Februar die Urabstimmung durchgeführt und wir gehen dann in den Erzwingungsstreik.

UZ: Seit vielen Jahrzehnten gab es in der Metallindustrie, außer im Osten, keine längeren Streiks mehr – zuletzt 1984 der Kampf um die 35-Stundenwoche. Was für besondere Herausforderungen sind die Streiks für euch?

Michael Clauss: Es sind schon fast keine Kolleginnen und Kollegen mehr im Betrieb, die den Kampf um die 35-Stundenwoche miterlebt haben. Die meisten kennen ihn nur vom Hörensagen. Viele Kollegen haben kein großes Vertrauen in die Kampfbereitschaft der IG Metall-Führung. Das muss sich ändern. Ich sehe die Streiks jetzt als eine große Chance, für die Menschen, die immer individualisierter unterwegs sind, kollektives Handeln wieder erlebbar zu machen, die Stärke durch Solidarität spürbar zu machen, Klassenbewusstsein näher zu bringen. In solchen Arbeitskämpfen gehen die Köpfe und Herzen der Kollegen auf. Das ermöglicht wieder, klarere Diskussionen über den nach wie vor vorhandenen Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit zu führen.

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"Jetzt geht’s los", UZ vom 2. Februar 2018



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