Gesundheitsminister Jens Spahn und der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Karl Lauterbach haben gemeinsam mit Abgeordneten aus den Unionsparteien und der Partei „Die Linke“ einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Organspende vorgelegt. Dieser sieht eine Widerspruchslösung vor. Jeder volljährige Mensch in Deutschland soll danach im Fall eines festgestellten Hirntods automatisch für eine Organspende in Frage kommen, sofern kein Widerspruch vorliegt. Widerspruch kann laut Gesetzentwurf auch von nahen Angehörigen geäußert werden (Doppelte Widerspruchslösung).
Bisher gilt, dass die Bereitschaft zur Organspende mit einem Organspendeausweis dokumentiert wird. Geht es nach Spahn und Lauterbach, soll diese Regelung ins Gegenteil verkehrt werden. Der Widerspruch ist zu dokumentieren. Dazu soll es ein Register geben, in dem man sich mit Vollendung des 16. Lebensjahres eintragen lassen kann.
Ziel ist es, die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Lauterbach geht davon aus, dass deren Zahl mit dem Gesetzentwurf verdoppelt werden könnte. Spahn versucht die Widerspruchslösung mit einer erhöhten „abstrakten Spendenbereitschaft“ zu legitimieren und vor allem damit, dass die Frage der Erhöhung der Organspenden eine „existentielle Frage“ für diejenigen sei, die auf fremde Organe an gewiesen sind. Die Zahlen scheinen Lauterbach und Spahn recht zu geben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt an, dass zwar 84 Prozent der Befragten einer Organspende grundsätzlich positiv gegenüber stünden, aber nur 36 Prozent besäßen einen Organspendeausweis.
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation gibt an, dass im letzten Jahr 955 Menschen nach ihrem Tod Organe entnommen wurden. Damit liegt die Zahl höher als in den vorangehenden Jahren, ist aber immer noch vergleichsweise niedrig. In Spanien, dem Land mit den meisten Organspenden pro Einwohner in Europa, waren es 2 183 „Spender“ – bei 46 Millionen Einwohnern.
Der niedrigen Zahl der Organspende in Deutschland steht die nach wie vor hohe Zahl derer gegenüber, die in Deutschland auf eine Organspende angewiesen sind. Rund 9 400 Patienten stehen auf den Wartelisten von „Eurotransplant“ (Stand Dezember 2018).
Mit diesen dramatischen Zahlen gerät die Debatte um die Persönlichkeitsrechte der potentiellen Spender in den Hintergrund. Zwar zitiert das „Deutsche Ärzteblatt“ in seiner aktuellen Ausgabe Karl Lauterbach mit den Worten, dass die Regelung im Gesetzentwurf „unbürokratisch, ethisch unbedenklich, effizient und aufgrund des doppelten Widerspruchs sicher“ sei. Aber auch der Hinweis, dass ein Jahr vor Inkrafttreten noch eine Informationskampagne zur Organspende dazwischengeschoben werden soll, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die sehr kontrovers geführte Debatte im Spahnschen Schnellverfahren nicht ausreichend berücksichtigt wird. Eine Entscheidung im Bundestag soll jedenfalls noch vor der Sommerpause fallen.
Vor allem medizinethische Bedenken werden nicht berücksichtigt. Bisher folgen medizinische Eingriffe dem Prinzip, dass diese einer Einwilligung des Patienten bedürfen. Um den Patienten ein hohes Maß an Selbstbestimmung zu ermöglichen, ist vorausgesetzt, dass sie entsprechende Informationen erhalten, auf deren Grundlage eine Entscheidung getroffen werden kann. Dabei kommt den behandelnden Ärzten eine entscheidende Rolle zu. Vor allem stellt sich die Frage, wie viel Zeit sie im Arbeitsalltag auf ein Gespräch mit den Patienten verwenden können und inwiefern sie dafür geschult sind, solche Gespräche mit dem nötigen Einfühlungsvermögen führen zu können.
Die Organentnahme bei Hirntoten setzt eine zuvor dokumentierte informierte Einwilligung voraus. Die wird bei der Widerspruchslösung aber nicht mehr vorausgesetzt, so dass von einer selbstbestimmten Entscheidung keine Rede sein kann. Dieses Problem wird mit der doppelten Widerspruchslösung nicht gelöst, auch wenn die Angehörigen befragt werden, wie sich der Hirntote zu Lebzeiten zur Frage der Organspende geäußert hat. Zu selten werden im Freundes- oder Familienkreis solche Fragen offen und qualifiziert diskutiert, um eine Entscheidungsgrundlage bieten zu können.
Unterstützung erhält der Gesetzentwurf aus der Funktionärsebene der Ärzteschaft. Der 121. Deutsche Ärztetag hatte sich bereits im letzten Jahr für die Widerspruchslösung ausgesprochen. Eine ebenfalls fraktionsübergreifend formulierte Kritik aus den Reihen der Bundestagsabgeordneten von Union, der SPD, den Grünen und der Linksfraktion zielt darauf, dass mit einer Widerspruchslösung Organspenden nicht mehr auf der Basis der Freiwilligkeit erfolgen würden.
Bisherige Kampagnen zur Erhöhung der Spendenbereitschaft hatten diesen Aspekt hervorgehoben: „Ich entscheide“, war einer der Slogans, unter denen Prominente dafür warben, sich einen Organspendeausweis zu holen.