Die Erwartungen wurden übertroffen: 18 000 Kolleginnen und Kollegen folgten am 10. April dem Aufruf ihrer Gewerkschaft ver.di zu einer zentralen Aktion nach Köln. „Das ist noch zu puschen“, erklärte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske gegenüber der UZ. Der Sockelbetrag sei unverzichtbar.
In seiner Rede verwies er darauf, dass Ostern bereits 70 000 Kolleginnen und Kollegen gestreikt haben. In dieser Woche seien es bisher mehr als 100 000, die ein klares Zeichen setzen, damit die Arbeitgeber in Bewegung kommen. Das Lohnniveau müsse deutlich höher werden als in den Vorjahren. Der größer werdende Abstand zu den Löhnen in der Privatwirtschaft sei nicht hinnehmbar.
Bernd Bümmel ist Vorsitzender des ver.di-Fachbereiches Telekommunikation/IT in Südhessen. Er ist als Betriebsrat bei der Telekom in Darmstadt beschäftigt.
UZ: ver.di fordert bei der Telekom eine Tariferhöhung um 5,5 Prozent für 12 Monate und eine Komponente zur Steigerung der Einkommensgerechtigkeit. Im Gegensatz zu den letzten Tarifrunden fordert ihr keine überproportionale Anhebung der unteren Entgeltgruppen. Was versteht ver.di unter der Steigerung der Einkommensgerechtigkeit und wie ist diese Forderung zustande gekommen?
Bernd Blümmel: Wir hatten im Landesfachbereich Hessen eine andere Forderung beschlossen – die Erhöhung um 210 Euro über alle Gruppen. Die Forderungsfindung ist ein demokratischer Prozess und die Beschlüsse der verschiedenen Landesfachbereiche werden durch den Bundesfachbereichsvorstand zusammengefasst. Wir haben unsere Forderung dort vertreten, konnten aber keine Mehrheit dafür gewinnen.
Die Formulierung „Steigerung der Einkommensgerechtigkeit“ soll wohl zum Ausdruck bringen, dass für die Einkommensgruppen, die zwar noch im unteren Bereich liegen, aber in den letzten Tarifrunden nicht von der überproportionalen Erhöhung der Entgeltgruppen 1 bis 3 profitiert haben, diesmal etwas mehr heraus geholt werden soll. Ich persönlich finde diese Formulierung schwammig und unglücklich.
UZ: Wie laufen die Verhandlungen bei der Telekom? Gibt es besondere Probleme?
Bernd Blümmel: Wenn wir uns die Zahlen bei der Telekom anschauen, vor allem auch die jährlichen Ausschüttungen in Milliardenhöhe, dann muss man die Forderung, die wir gestellt haben, als sehr moderat bezeichnen. Aber trotz dieser selbstauferlegten Lohnzurückhaltung zeigt die Kapitalseite kein entsprechendes Entgegenkommen. Nachdem es erst überhaupt kein Angebot gab, wurde von der gegnerischen Seite jetzt etwas vorgelegt, das eigentlich nur als Provokation verstanden werden kann. Die angebotenen Erhöhungen, 2 Prozent ab Mitte 2018 – das bedeutet drei Null-Monate – und 1,7 Prozent ab Mitte 2019 bei einer Laufzeit bis Mai 2020, sind absolut inakzeptabel. Da im Angebot verschiedene Tarifvertragslaufzeiten vorgesehen sind, besteht außerdem das Risiko der Spaltung in kommenden Tarifrunden. Vor dem Hintergrund des massiven Personalabbaus der letzten Jahre, der anhaltenden Arbeitsverdichtung und der Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 42 Wochenstunden stellt das Angebot eine Verhöhnung der Kolleginnen und Kollegen dar, die Enormes leisten, um den von allen Seiten geforderten Breitbandausbau zu stemmen.
UZ: Das hört sich nicht berauschend an. Was sind aus deiner Sicht die wesentlichen Aufgaben, die angegangen werden müssen?
Bernd Blümmel: Ich halte vor allem die langen und unterschiedlichen Tarifvertragslaufzeiten für ein großes Problem. Gewerkschaftliches und solidarisches Bewusstsein entsteht nicht durch geschickte Argumentation oder bei „Trockenschwimmübungen“. Es entsteht und festigt sich in konkreten Auseinandersetzungen, bei denen sich die Betroffenen direkt einbringen. Mit anderen Worten: Im Streik. Das zeigt sich auch in der Mitgliederentwicklung bei Arbeitskämpfen. Wer fordert, dass neue Mitglieder organisiert werden oder die fehlende Solidarität bemängelt, macht sich meines Erachtens unglaubwürdig, wenn er mehr als 12 Monate Laufzeiten akzeptiert.
Daneben wäre es natürlich wichtig, dass die Termine, zu denen die Tarifverträge gekündigt werden können, angeglichen werden. Ansonsten schwächen wir unsere eigene Durchsetzungsfähigkeit.
Bei den laufenden Tarifrunden, egal in welchen Branchen sie stattfinden, halte ich außerdem ein politisches Ziel für entscheidend. Das in den letzten Jahren von deutschen Unternehmen angehäufte und nach Anlagemöglichkeiten suchende Kapital hat mit der Rüstungsindustrie neue Verwertungsmöglichkeiten entdeckt. Dazu passt die aktuelle Kriegspropaganda von Medien und Politikern und die Nato-Verpflichtung, 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Aufrüstung zu investieren. Das sind 2 Prozent, die bei Kindergärten, Schulen, Infrastruktur und vielen anderen Bereichen fehlen. Das Geld, das nicht uns, sondern den Aktionären oder dem Finanzministerium zufließt, wandert mit Sicherheit zu einem großen Teil in die Aufrüstung. Jeder Cent, den wir bei den Tarifrunden herausholen, senkt also die Kriegsgefahr. Ich halte das im Augenblick für eine entscheidende Frage.