Handelskonzerne greifen den freien Sonntag an

Jeden Tag Profite

Von Volker Metzroth

Der Kampf um die Arbeitszeit hat viele Facetten. Neben der Verkürzung von täglicher, wöchentlicher und Lebensarbeitszeit geht es auch um die Frage, ob es noch Zeiten gemeinsamer Freizeit für privates und gesellschaftliches Leben geben wird oder ob der grundsätzlich freie Sonntag einer 24-stündigen Profitmacherei an sieben Wochentagen geopfert werden darf. Das ist der Kern des Kampfes gegen die ausufernden Sonntagsöffnungen im Einzelhandel. So wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband eine der unternehmerischen Sperrspitzen im Kampf für den 12-Stunden-Tag ist, – Österreich lässt grüßen – so sind das die diversen Handelsverbände in Sachen Sonntagsarbeit. Die euphemistisch „Initiative Selbstbestimmter Sonntag“ genannte Lobbyvereinigung, die fusionierenden Konzerne Kaufhof und Karstadt stehen dahinter, fordert die generelle Freigabe des Sonntags. Der Ausweitung der Ladenöffnungszeiten im Handel folgen seit über 25 Jahren immer die Geschäfts- und Öffnungszeiten in anderen Branchen.

In Rheinland-Pfalz wurden der DGB in Bad Kreuznach und seine Partner in der lokalen Sonntagsallianz von Bad Kreuznach, die Kirchen und die Katholische Arbeitnehmerbewegung, zur dortigen Speerspitze im Kampf für den freien Sonntag. Seit fünf Jahren gab es dort keinen sonntäglichen Shopping-Rummel ohne Proteste, unter anderem mit Aktionen am Tag und am Ort des Geschehens, von kreativen Ständen und Aktivitäten bis zum Protestgeläut aller Kirchenglocken. Erste lokale Erfolge waren, dass es keine Sonntagsöffnungen mehr am 1. Advent gibt und auch kein „Mitternachtsshopping“ an Samstagen bis 24 Uhr. Trotz alledem haben die Betreiber, ein Lobbyverein namens „Pro City“, dem kaum Einzelhändler in der City angehören, aber dafür umso mehr Betriebe aus den Finanz- und Immobilienbranchen, bis 2017 immer noch einen drauf gesetzt: erst zwei, dann drei, dann vier Sonntagsöffnungen.

Erst nachdem das Bundesverwaltungsgericht die Vorentscheidungen Rheinland-Pfälzischer Gerichte im Mai 2017 verwarf und ver.di ankündigte, weitere Sonntagsöffnungen in Bad Kreuznach juristisch überprüfen zu lassen, begann ein lokales „Zurückrudern“ für 2018. Es war ein Sieben-Achtel-Erfolg; denn nach früher vier wurde jetzt nur noch ein Shopping-Rummel für den 28. Oktober beantragt und der auf die Innenstadt beschränkt. Die gesamte „grüne Wiese“ blieb außen vor. Dennoch gingen die lokale Allianz politisch und ver.di juristisch dagegen vor, weil es keine den rechtlichen Anforderungen entsprechende „Anlassveranstaltung“ gab. Ein speziell vom genannten Lobbyverein kreierter „Herbstmarkt“ und von der Stadtverwaltung initiierter „Oktobermarkt“ wurden als Alibiveranstaltungen eingeschätzt. Das OVG Koblenz verweigerte allerdings den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Ladenöffnung. In der Hauptsache ist aber nichts entschieden.

Seit der Föderalismusreform 2007 sind Ladenöffnungsgesetze Ländersache, wurden die Stadtverwaltungen zu Genehmigungsbehörden. Die sind aber, wie in Bad Kreuznach, oft auf vielfältige Weise mit den hier agierenden Lobbyvereinen so verwoben, dass, so die Bad Kreuznacher Sonntagsallianz, es schwerfällt, an die Unabhängigkeit der Genehmigungsbehörde zu glauben. Deshalb fordert sie auch die Rückübertragung der Entscheidungskompetenz auf eine Landesbehörde.

In der ganzen Republik sind die zunehmenden Sonntagsöffnungen auch Ausdruck der Hilflosigkeit von Kommunalpolitikern überschuldeter Kommunen. Statt mal ihre Parteifreunde in Land- und Bundestag bezüglich Gemeindefinanzierung in die Pflicht zu nehmen, versuchen sie sich gegenseitig Kaufkraft und Kunden abzujagen. Sie hoffen auf ein paar zusätzliche vom Tisch der Handelskonzerne fallende Steuerkrümel, die dann aber in den Nachbarstädten fehlen würden.

Dort, wo ver.di, die Kirchen oder die KAB klagen, gewinnen sie auch meistens. Aber wo keiner klagt, scheren sich viele Kommunalverwaltungen nicht um die Rechtslage. Selbst gerichtliche Verbote werden zunehmend missachtet. So öffneten in Berlin unlängst 150 Geschäfte trotz Verbots durch das Oberlandesgericht. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Prof. Dr. Papier, nicht unbedingt als linker Systemkritiker bekannt, kritisiert seit Jahren, dass in keinem Rechtsbereich die höchstrichterliche Rechtsprechung so missachtet werde wie beim Sonntagsschutz.

Wie alle Arbeitszeitfragen ist auch die des Sonntagsschutzes eine Machtfrage. In diesem Fall müssen eindeutige Gesetze und höchstrichterliche Urteile oft gegen jene durchgesetzt werden, die ihnen in den Kommunen eigentlich verpflichtet sind. Machtfrage heißt auch, wer macht es? Dass ver.di, Kirchen und KAB bundesweit gegen zigtausende Sonntagsöffnungen klagen würden, wäre unrealistisch. Hier aktive lokale Bündnisse zu schmieden ist der Weg zum Erfolg, an dessen Ende dann auch das Anrufen der Gerichte stehen kann – wenn es anders nicht geht

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"Jeden Tag Profite", UZ vom 2. November 2018



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