Nicht die Renten steigen drastisch an, sondern die Altersarmut

Je oller, je doller

Gute Nachrichten für die 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland. Glaubt man dem Rentenversicherungsbericht, den das Bundeskabinett in der vergangenen Woche veröffentlicht hat, sollen die Renten um knapp 43 Prozent steigen. Die schlechte Nachricht: Diese Steigerung soll in einem Zeitraum von 2024 bis 2037 erfolgen, was einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 2,6 Prozent entspricht. Die Renten werden also keinesfalls sprunghaft erhöht – im Gegensatz zur Altersarmut.

Seit der Einführung der Grundsicherung im Alter am 1. Januar 2003 ist die Zahl der Bezieher nach Untersuchungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung von 257.700 auf über 600.000 im Jahr 2022 angestiegen. Auch die jüngsten Daten des Statistischen Bundesamts bestätigen den Trend. So wuchs die Zahl der Bezieher von Grundrente im Alter allein im Zeitraum Juni bis September 2022 von 628.570 auf 647.515 weiter an. Das ist innerhalb eines Vierteljahres eine Zunahme um 18.945 Personen, also knapp 3 Prozent. Im Vergleich zum September des Vorjahres sind es sogar 68.420 Menschen mehr, die in der Kategorie „Altersgrenze und älter“ eine Grundsicherung beantragen mussten, was einem Anstieg von rund 12 Prozent entspricht.

Nach Einschätzung von Experten ist die Dunkelziffer der Anspruchsberechtigten noch deutlich höher. Ein Indiz hierfür ist, dass die Zahl der erwerbstätigen Rentner trotz kontinuierlichen Anstiegs des gesetzlichen Renteneintrittsalters immer weiter ansteigt. 2003 waren noch 547.000 Erwerbstätige älter als 65 Jahre, inzwischen sind mehr als 1,3 Millionen Personen im Rentenalter berufstätig.

Die Gründe sind sicher individuell unterschiedlich. In der Regel sind es jedoch die sozialen und ökonomischen Verhältnisse, die dazu zwingen, noch im hohen Alter die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, um die karge Rente aufzubessern.

Die zunehmende Altersarmut ist kein Zufall, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen. Zum einen wurde der Arbeitsmarkt dereguliert, der Kündigungsschutz gelockert, Mini- beziehungsweise Midijobs eingeführt und die Leiharbeit liberalisiert. In der Folge wird nach dem jetzigen Stand fast die Hälfte der in Vollzeit Beschäftigten in Zukunft von weniger als 1.500 Euro Rente leben müssen – auch nach 45 Jahren Maloche. In absoluten Zahlen sind 9,3 Millionen Menschen davon betroffen. Da die wenigsten Beschäftigten jedoch auf 45 Beitragsjahre kommen, unterbrochene Erwerbsbiografien und Teilzeit an der Tagesordnung sind, werden die Renten in den kommenden Jahren noch niedriger ausfallen und das Verarmungsrisiko wird weiter ansteigen.

Hinzu kommt, dass die Sozialversicherungssysteme in den vergangenen Jahren systematisch ausgehöhlt und Rentenkürzungen dreist als „Generationengerechtigkeit“ verkauft wurden. Ein erstes einschneidendes Ereignis war die Kürzung der Erwerbsminderungsrente zur Jahrtausendwende durch die Schröder-Fischer-Regierung. Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten konnte, musste fortan empfindliche finanzielle Einbußen in Kauf nehmen oder sich rechtzeitig zusätzlich privat absichern. Nicht zufällig verdienen sich Versicherungskonzerne seither durch private Berufsunfähigkeitsversicherungen eine goldene Nase.

Anschließend war dann die gesetzliche Rentenversicherung an der Reihe: Das Rentenniveau wurde abgesenkt. Als die Große Koalition dann 2007 auch noch das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anhob, kam dies faktisch einer weiteren Rentenkürzung gleich. Damit ist noch lange nicht Schluss. In regelmäßigen und immer kürzeren Abständen fordern Unternehmerverbände und ihnen nahestehende Stiftungen und Forschungsinstitute weitere Anhebungen des Renteneintrittsalters und eine „dynamische Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung“. Die Folgen dieser Politik sind einerseits hohe Profitraten für private Versicherungskonzerne und niedrige Sozialversicherungsbeiträge für die Kapitalseite. Auf der anderen Seite müssen dies immer mehr Versicherte mit Altersarmut bezahlen.

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"Je oller, je doller", UZ vom 1. Dezember 2023



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