… desto härter der Beton: Interview mit Yana Zaugarova, Organisatorin des Unsterblichen Regiments in Berlin

Je größer der Druck …

Mit „Unsterblichen Regimentern“ erinnern Nachfahren sowjetischer Kriegsveteranen an die Leistungen ihrer Vorfahren für die Befreiung der Welt vom Faschismus. Zum zehnten Mal zieht ein solches Unsterbliches Regiment am 9. Mai dieses Jahres durch Berlin. UZ sprach mit Yana Zaugarova, die das Unsterbliche Regiment in Berlin organisiert.

UZ: Sie organisieren das Unsterbliche Regiment in Berlin. Was ist das?

Yana Zaugarova: Das Unsterbliche Regiment ist eine öffentliche, gemeinnützige, unpolitische, nicht-staatliche Bürgerinitiative. Die Organisation wurde im Jahr 2012 in der russischen Stadt Tomsk gegründet. Seit 2015 sind wir in Berlin aktiv, und seit 2016 treffen wir uns am Brandenburger Tor. Wir versammeln uns mit Bildern unserer Angehörigen, die im Großen Vaterländischen Krieg gekämpft haben. Damit zeigen wir unseren Respekt und unsere Dankbarkeit für all diejenigen, die für unsere Freiheit ihr Leben gaben. Jeder kann an unseren Aktionen teilnehmen, unabhängig von Religion, Nationalität, politischen oder sonstigen Anschauungen. Letztes Jahr wurde das Unsterbliche Regiment in neun deutschen Städten organisiert, und das freut sehr. Trotz aller politischen Einschränkungen ziehen Menschen mit den Portraits der Veteranen durch die Straßen.

UZ: Welches Portrait tragen Sie denn?

Yana Zaugarova: In den Reihen des Unsterblichen Regiments trage ich das Porträt meines Großvaters Alexej Matwejewitsch Tryapitsyn, der ab dem 22. Juni 1941 mit 20 Jahren in Weißrussland den Krieg erlebte und erst 1948 nach dem Krieg gegen Japan aus der Roten Armee entlassen wurde.

Mein Großvater nahm an der Schlacht von Naro-Fominsk teil, mehr als zwei Monate lang an der Verteidigung Moskaus, an den Kämpfen der Kursk-Offensive. Dort wurde er übrigens in die Kommunistische Partei aufgenommen wurde, was er als Ehre emfpand. Er kämpfte in Pogoreloje Gorodischtsche, nahm an der Operation Bagration teil und an der Befreiung Litauens. Auf dem Marsch seiner Truppen nach Königsberg wurde er schwer verletzt und in ein Krankenhaus nach Tomsk evakuiert. Nach der Heilung nahm er am Krieg gegen Japan teil und wurde am 25. Oktober 1948 im Rang eines Zugführers demobilisiert. Er erhielt zahlreiche militärische Auszeichnungen. Wir hatten großes Glück: Mein Großvater kam lebend nach Hause. Er starb 2006.

Wer bewusst mit dem Porträt eines geliebten Menschen zum Unsterblichen Regiment kommt, kann mindestens genauso viel oder mehr über seinen Helden erzählen. Das sind Familiengeschichten, die von Heldentum und Liebe handeln. Sogar 80 Jahre später ist es dank verschiedener offener Datenbanken und Suchseiten in Russland möglich, Informationen über die Kampfgeschichte einer Person, ihre Auszeichnungen und Verwundungen zu finden. Und diese Informationen werden ständig aktualisiert.

In diesem Jahr habe ich auf der Rückseite des Porträts meines Großvaters alle Informationen über seinen militärischen Werdegang in russischer und deutscher Sprache abgedruckt, um allen zu sagen, dass es SEIN Sieg ist, dass ER es ist, der am 9. Mai mit meinen Füßen durch Berlin geht. Ich bin mir sicher, dass jeder, der zum Unsterblichen Regiment kommt, so denkt. Das gibt uns Kraft.

UZ: Welche Aktivitäten planen Sie für den 9. Mai in diesem Jahr?

Yana Zaugarova: In diesem Jahr begehen wir den 80. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg. Zahlreiche russischsprachige Organisationen bereiten in ganz Deutschland verschiedene Gedenkveranstaltungen und Festaktionen vor. Es ist geplant, sowjetische Soldatenfriedhöfe zu säubern und zu pflegen, Unsterbliche Regimenter und Kundgebungen zu organisieren sowie Kränze und Blumen niederzulegen. Da sich viele Veranstaltungen noch in der Planungsphase befinden, kann ich noch keine genaueren Angaben machen.

Wir pflegen auch sowjetische Soldatengrabstätten, aber unsere Hauptaufgabe ist, trotz aller Einschränkungen einen würdigen Marsch des Unsterblichen Regiments zu organisieren. Wir rechnen mit vielen Teilnehmern nicht nur aus anderen Städten Deutschlands, sondern aus der ganzen Welt. Ich hoffe sehr, dass die Berliner Behörden die Bedeutung dieses Datums verstehen und uns helfen, es würdig zu begehen.

UZ: Seit 2022 gibt es massive staatliche Repression gegen das Unsterbliche Regiment in Berlin. Wie hat die Polizei ihre Aktion im vergangenen Jahr behindert?

Yana Zaugarova: Stimmt, seit 2022 ergreifen die Behörden beispiellose Maßnahmen im Hinblick auf die Feierlichkeiten zum Tag des Sieges – insbesondere in Berlin. Wenn ich das früher noch irgendwie mit Sicherheitsvorkehrungen erklären konnte, empfinde ich das heute als regelrechte Demütigung und Beleidigung der Menschen, die friedlich gekommen sind, um das Andenken derer zu ehren, die uns 1945 den Frieden geschenkt haben.

Im letzten Jahr mussten wir wegen des Aufbaus einer Fanzone für die FIFA die Veranstaltung vom Brandenburger Tor direkt an die Gedenkstätte im Tiergarten verlegen. Wir mussten unser Programm deutlich verkürzen. Trotz mehrmaliger Verhandlungen mit der Polizei, diese absurden Maßnahmen zu lockern, wurden alle Teilnehmer des Zuges auf verbotene Symbole kontrolliert, durften nur in Gruppen à 25 Personen zum Denkmal ziehen und mussten über Zäune passieren. Einige Teilnehmer wurden sogar gezwungen, sich umzuziehen. Mein aufrichtiger Dank gilt allen Teilnehmern. Sie haben sich trotz dieser unmoralischen Verbote sehr würdevoll verhalten. In einem russischen Lied heißt es: „Je größer der Druck, desto härter der Beton“. Obwohl ich die Empörung derer, die gezwungen sind, die Orden auf den Porträts ihrer Großväter zu verstecken, vollkommen verstehe. Für mich als Russin ist das unerträglich schmerzhaft. Ich schäme mich furchtbar dafür, vor meinem Großvater und vor allem für die Deutschen.

UZ: Mit welchen Einschränkungen rechnen Sie in diesem Jahr?

Yana Zaugarova: Wir gehen davon aus, dass sich die Situation in dieser Angelegenheit in diesem Jahr nicht verbessern wird. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, dass Gerechtigkeit und gesunder Menschenverstand siegen und wir zum früheren Format der Feierlichkeiten dieser Tage zurückkehren werden. Wir wissen, dass es eine große Zahl von Deutschen mit gutem Gedächtnis gibt, die diese Einschränkungen verurteilen und sich Freundschaft, nicht Konfrontation wünschen.

Ich möchte betonen, dass wir nicht den „Sieg der Russen über die Deutschen“ feiern, sondern den Sieg des Guten über das Böse. Die Sowjetunion zahlte für diesen Sieg einen unglaublichen Preis: fast 27 Millionen Menschen. Doch dieser Sieg wurde unter anderem dank der Verbündeten sowie der Partisanenbewegungen in den europäischen Ländern errungen. Die westlichen Alliierten versuchen, diesen Sieg zu verunglimpfen und die Geschichte umzuschreiben. Sie haben die heroische Vergangenheit ihrer Vorfahren vergessen, aber wir erinnern uns an alle und sagen trotz allem danke an alle, die uns einen friedlichen Himmel geschenkt haben. Wir danken der DKP für die Gelegenheit, unseren Standpunkt darzulegen und für ihre brüderliche Solidarität mit uns in Fragen der Bewahrung der historischen Wahrheit.

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