Von Seeohren und blöden Listen

Jahreswechseljahre

Kolumne oder so

Freie Tage.

„Zwischen den Jahren“. Schon die Bezeichnung ein Unfug der höchsten Alarmstufe. Erster Tag Urlaub: Es regnet 24 Stunden. Zweiter Tag Urlaub: Es regnet 24 Stunden. Dritter Tag Urlaub: Es regnet 24 Stunden. Ich verlasse das Haus nicht einmal, da draußen sind nur Menschen, die müssen, der Hunde wegen oder der kleinen Kinder. Oder weil sie sich körperlich bewegen wollen, ein Mysterium.

Was ich tun wollte, aber nicht getan habe I.

Fensterputzen, Leergut wegbringen, Zahnarztrechnungen bezahlen, Steuererklärung.

Was ich nicht tun wollte, aber getan habe I.

Zu viel Essentrinkenrauchennetflix. Weihnachten bei 6 Grad im strömenden Regen mit dem Rad nach Hause fahren. Fürchterlich schlecht boulen.

Wahrheit.

„Ein Problem ist, wenn aus der sogenannten politischen Mitte Geschichten erzählt werden, dass Menschen, die auf der Flucht sind, denen es schrecklich geht, unsere Zahnärzte überlasten.“ (Freiburg-Trainer Christian Streich über CDU-Chef Friedrich Merz). Isso.

Prominente, bei denen die Möglichkeit besteht, dass ich sie 2024 vermisse.

Jeff Beck. Shane MacGowan. Sinead O‘Connor.

Prominente, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass ich sie 2024 überhaupt nicht vermisse.

Wolfgang Schäuble. Kardinal George Pell. Henry Kissinger. Silvio Berlusconi.

Krieg.

Israelische Militärs erschießen in Gaza drei israelische Geiseln. Das ganze Land heult vor Wut und Trauer. Zu Recht: „Die drei Geiseln trugen den Angaben nach keine Oberbekleidung, eine von ihnen hatte eine weiße Fahne bei sich.“ (Zeit.de) Aber was bedeutet das für den täglichen Umgang der Soldaten mit der palästinensischen Zivilbevölkerung? Eben: Genau das.

Was ich tun wollte, aber nicht getan habe II.

Lenin lesen, völlig unnütze Dinge bei eBay-Kleinanzeigen einstellen, Fitnessstudio, Fußnägel schneiden.

Was ich nicht tun wollte, aber getan habe II.

Ungeniert Herumgammeln, alte Fotos gucken, Bolognese für 23 Tage kochen, Dauerwerbesendungen mit kurzen Spielfilmunterbrechungen auf Pro7 schauen.

(Dach-)Schaden.

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„Das Bundesverkehrsministerium will Ex-Minister Andreas Scheuer wegen der gescheiterten Pkw-Maut nicht verklagen. Man wolle ‚weiteren Schaden für den Steuerzahler‘ abwenden.“ (Süddeutsche). Nun ja, zu den 243 Millionen Euro Schadenersatz, die der Bund zahlen muss, kommen ja noch 5,8 Millionen Euro, die Scheuer seinen Anwälten zahlte – aus Steuergeldern. Da bekommt die Floskel „Schaden abwenden“ doch eine ganz neue Note.

Was ich auch 2024 hasse.

Kriege. Millionäre und andere Mitesser. Nazis. Naziwählerunterstützerverharmloser. Schlechten Fußball.

Was ich auch 2024 liebe.

An einer frisch geöffneten Tüte Espressobohnen riechen. Meine Tochter. Einen eisgekühlten Caipirinha im Schrebergarten. Guten Fußball.

Wörter.

„‚Scholzing‘ bedeutet: Gute Absichten zu kommunizieren, um dann jeden möglichen Grund zu finden, zu nutzen oder zu erfinden, um diese zu verzögern und/oder sie zu verhindern.“ (praxistipps.de). Ist gekauft.

(Un)wissen.

„Chinas Seeohrenhunger befeuert Kriminalität in Südafrika.“ (n-tv) Und jetzt weiß ich doch auch schon wieder nicht mehr weiter …

Liebe LeserInnen:

Euch ein möglichst gesundes, ein starkes und kämpferisches Jahr – trotz Misstraun, Angst und alledem.

Pace.

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"Jahreswechseljahre", UZ vom 5. Januar 2024



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