Silvester 2015 – es wird weiter geknallt

Jagdszenen (nicht nur) in Köln

Von Klaus Stein

Das Bundeskriminalamt hat die massenhafte sexuelle Belästigung zu Silvester in Köln auf einen Begriff gebracht. Es handle sich um „tahar rush gamea“ (gemeinschaftliche Belästigung) und sei als Modus Operandi, als wiederkehrendes Muster von Straftaten und bekannt aus Ägypten. Die Übergriffe und Vergewaltigungen dürfen wir jetzt als fremde Sitte, als eine Art Brauchtum sexuell ungebärdiger arabischer Jugendlicher verstehen. NRW-Innenminister Ralf Jäger versprach im Landtag, dass „sich hierzu eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe vertiefend mit dem Phänomen befassen und spezifische Bekämpfungskonzepte entwickeln“ werde. So etwas wie Kampf der Kulturen.

Noch eine Woche zuvor hatten sich Politiker wie de Maiziére und Polizeigewerkschafter (DPolG) Rainer Wendt vordergründig gegen einen Generalverdacht ausgesprochen, also dagegen, Menschen eine Neigung zu Straftaten anzudichten allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Nation, einer Religion, oder weil sie sich dem Krieg und dem Elend in ihrer Heimat als Flüchtlinge entziehen. Unterdessen wird der Generalverdacht schon praktiziert. Gruppen von Türstehern, Rockern und Hooligans in Köln jagen fremdländisch aussehende Menschen und schlagen sie krankenhausreif. Solche Jagdszenen hatten wir in Köln noch nicht.

Razzia in Düsseldorf am Samstag, 16. Januar. In einem Viertel um die Ellerstraße, für das sogleich der Name „Klein-Marokko“ oder „Maghreb“ parat ist. Vorgeblicher Zweck der Aktion? Kriminelle Strukturen hinter Diebesbanden aufzudecken. Die Razzia habe viele Einblicke in die Strukturen der Verdächtigen, über ihre Gewohnheiten, Aufenthaltsorte und Unterkünfte verschafft, behauptet Einsatzleiter Frank Kubiki. Nun sei die Polizei fähig, „Orte aufzuklären, an denen solche Taten verabredet und vorbereitet werden, noch bevor sie geschehen“. (Lokalzeit, wdr 18. 1. 16). Das ganze Viertel war von 300 Polizisten umstellt und abgeriegelt worden. Überprüft wurden 294 Personen, 40 festgenommen – 38 von ihnen wegen des Verdachts illegalen Aufenthalts, einer wegen des Verdachts der Hehlerei. Eine weitere Person sei bereits zur Abschiebung ausgeschrieben gewesen.

Am Montag heißt es indes, die Polizei habe alle 40 Festgenommenen wieder freigelassen – freilassen „müssen“, wird formuliert. Denn es hätten keine Haftgründe vorgelegen. Polizeipräsident in Düsseldorf ist gegenwärtig noch Norbert Wesseler. Er gilt als sorgsamer Betreuer von Dügida-Kundgebungen und verbissener Verfolger ihrer Gegner. Von ihm hört man, er bewerbe sich als Nachfolger von Wolfgang Albers in Köln.

Am selben Tag verteilen am Kölner Hauptbahnhof im Rahmen einer Kundgebung Syrerinnen und Syrer Rosen. Und einen Zettel: „Im Namen der Menschlichkeit, die uns vereint, und des Rechts auf Freiheit und Frieden kommen wir heute zusammen: in Solidarität mit den Opfern sexueller Belästigung, Rassismus, Gewalt und Hass!“ Sie halten Plakate hoch: „Syrer gegen Angriffe auf Frauen“; „Gegen Sexismus, gegen Rassismus“, aber auch: „Wir sind Syrer, wir sind für Frieden“. Etwas abseits davon ein anderes Plakat: „Wenn ihr euch für die Verbrechen irgendwelcher Arschlöcher entschuldigt, dann entschuldige ich mich für: deutsche Waffenexporte, Krieg, Neokolonialismus, Rassismus, Festung Europa und vieles mehr“.

CDU und SPD dagegen übernehmen Losungen von Pro NRW und NPD („kriminelle Ausländer abschieben“). Im Vorfeld von drei Landtagswahlen (13. März) lassen sie sich von der AfD jagen, vollstrecken aber noch selbst. Es geht Schlag auf Schlag. Die CDU will die nordafrikanischen Staaten Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern erklären lassen. Die Bundesregierung plant ein Maßnahmenpaket, um Flüchtlinge aus Nordafrika schneller abschieben zu können. Ein Problem ist, dass diese Länder nur erwiesene Staatsangehörige zurücknehmen wollen. So ein Nachweis fehlt schon mal. Jetzt will Sigmar Gabriel Druck ausüben und bei mangelnder Kooperation Gelder kürzen. „Deutschland hilft gerne wirtschaftlich in Nordafrika, aber nur, wenn die Regierungen auch so fair sind, Bürger zurück einreisen zu lassen, die in Deutschland kein Asylrecht haben“, so Gabriel am Sonntag in den Tagesthemen. Dies sei nur ein fairer Umgang miteinander.

Rückführung, Begrenzung, Schutz der Grenzen – so lauten die tödlichen Schlagworte. Als dem Publikum im vergangenen Sommer die Tausenden von Toten im Mittelmeer nicht mehr zuzumuten waren und die Flüchtlinge gewissermaßen Breschen in die Festung Europa schlagen konnten, schien die Politik der Abschottung schon gescheitert. Wir erleben den hektischen Versuch eines Rückschlags.

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"Jagdszenen (nicht nur) in Köln", UZ vom 22. Januar 2016



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