Innenministerin Faeser und ihre Behörden wollen die „Demokratie verteidigen“, indem sie abweichende Meinungen weiter einschränken

Jagd auf die falsche Lehre

In der vergangenen Woche klingelte es laut, schon fast schrill: das Totenglöcklein der Meinungsfreiheit. Bedroht ist der Rest, der im 75. Jahr des Grundgesetzes noch von ihr übrig geblieben ist. In der Pressekonferenz des Bundesinnenministeriums am 13. Februar überboten sich Innenministerin Nancy Fae­ser (SPD), Holger Münch (Bundeskriminalamt) und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang gegenseitig mit einer dem Schützengraben entlehnten Wortwahl. „Es geht darum, unsere offene Gesellschaft gegen ihre Feinde zu verteidigen.“

Die Strategie dazu: Prävention und Härte. Die Sprache verrät, was zu erwarten ist: „Bekämpfen“, „Entfernen“, Zerschlagen“, „Austrocknen“. Der proklamierte Kampf gegen den Hass benutzt selbst die vermeintlichen Begriffe derer, die er ausmerzen will. Dunkle Mächte schicken sich an, insbesondere auf Justiz und Bundesverfassungsgericht „Einfluss zu nehmen“ (Beispiele blieb die Innenministerin schuldig), der Staat müsse „Extremisten auf allen Ebenen die Grenzen aufzeigen“ und natürlich sollen „diejenigen, die den Staat verhöhnen, (…) es mit einem starken Staat zu tun bekommen“. Die frohe Botschaft für die Zukunft: Meldestellen, „Früherkennungseinheiten“, Ausforschung von verdächtigen Kontobewegungen, Ausbau des „Verfassungsschutzes“ (VS), der Polizei- und Ordnungsbehörden. Ja sogar Gewerbe- und Gaststättenaufsicht reihen sich ein. VS-Präsident Haldenwang ergänzte pflichtschuldig, dass sein Dienst ab sofort bundesweit ausschwärmen wird, „um verbale und mentale Grenzverschiebungen“ aufzuspüren, allzeit bereit „jeden Stein umzudrehen“ (Warum jetzt und nicht zu Zeiten der NSU-Mörderbande?).

Schutz des Staatswohls bis in die Hirne der Untergebenen, denn auch da könnte sich mental etwas verschieben. Familienministerin Elisabeth Paus (Grüne) sekundierte den Plänen des Innenministeriums. Sie überraschte alle, die bisher noch dem im Grundgesetz verankerten Irrglauben anhingen, die Meinungsfreiheit finde ihre Grenze allein im Strafgesetzbuch. Ab sofort werde sich der Staat um all die Unfolgsamen kümmern, die „unter der Strafbarkeitsgrenze“ missliebige Meinungen verbreiten und dazu noch die Dreistigkeit besitzen, zu wissen, „was auf den Social-Media-Plattformen gerade noch so unter Meinungsfreiheit fällt“. Man beachte: Was richtig und was falsch ist, weiß allein die Regierung.

In 64 Minuten Pressekonferenz räumte Faeser so ziemlich alles ab, was der bürgerliche Staat in 175 Jahren an rechtsstaatlichen Prinzipien zusammengebracht hat: den Schutz der Meinungsfreiheit, die Unschuldsvermutung und den Grundsatz, dass es ohne Gesetz keine Strafe geben darf. Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) titelte am 15. Februar zu den Plänen der deutschen Regierung: „Die wahre Gefahr für die Demokratie liegt in der Entfesselung staatlicher Gewalt von den Zügeln des Gesetzes.“ Platz nehmen zur Zeitreise: Orwells 1984 lassen wir hinter uns (da gab‘s immerhin schon die Gedankenpolizei), 1849 auch (da wurde nach der Niederschlagung der Verfassungskampagne zum ersten Mal das Volkslied „Die Gedanken sind frei“ verboten). Wir landen punktgenau auf dem 25. März 1199. Da erließ Papst Innozenz III. (auch ein Jurist) sein Dekret zur Zeitenwende „Vergentis in senium“: „Wir verbieten streng, dass jemand es wage, Häretiker aufzunehmen oder zu verteidigen oder sie zu unterstützen oder ihrer Lehre zu glauben.“

Kontaktschuld, Verdachtsstrafe und Infamie (Verlust der bürgerlichen Ehre) – Letztere stand bis 1969 noch in unserem Strafgesetzbuch. Staatsrechtler wie Josef Franz Lindner (Augsburg) möchten partout kein Ticket für Faesers Zeitreise lösen. „Auch staats- und regierungskritische oder von der Politik unerwünschte Meinungen sind vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt. Es ist grundrechtswidrig, unter Berufung auf einen unbestimmten Begriff wie ‚Staatswohlgefährdung‘ bestimmte Meinungen einfach zu untersagen“, zitiert ihn die „Berliner Zeitung“ vom 16. Februar. Nancy Faeser verwechselt da etwas: Die Meinungsfreiheit schützt den Bürger vor dem Staat, nicht den Staat vor den Bürgern. „Denn anders als dem einzelnen Staatsbürger kommt dem Staat kein grundrechtlich geschützter Ehrenschutz zu“ (Bundesverfassungsgericht, 28. November 2011 – 1 BvR 917/09).

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"Jagd auf die falsche Lehre", UZ vom 23. Februar 2024



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