Gedanken über die UZ-Matinee zum 75. Jahrestag der DDR

Ja, dieses Deutschland meinen wir!

Die Berliner Friedenstage der UZ wollten natürlich auf den bevorstehenden 75. Jahrestag der DDR schauen. Schließlich war die Deutsche Demokratische Republik der Friedensstaat auf deutschem Boden. Das Streben nach friedlicher Koexistenz und paritätischer Abrüstung gehörten zu ihrer DNA wie die antiimperialistische Solidarität, die in ihrer emanzipatorischen, antikolonialistischen Ausrichtung den Weltfrieden förderte. Also klingelten der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele und die SDAJ-Vorsitzende Andrea Hornung bei Egon Krenz, der Sängerin Gina Pietsch und bei mir an, ob wir nicht Lust hätten, eine gemeinsame Matinee aus diesem Anlass zu gestalten. Die hatten wir und die Stimmung im überfüllten Münzenbergsaal des alten ND-Gebäudes zeigte, wie wach die Erinnerung an den Lebensalltag der DDR, an ihre gesellschaftlichen Vorzüge und auch ihre unerledigt gebliebenen Aufgaben noch immer ist. Und wie viel Zuversicht sich aus dem Erbe dieser Staat gewordenen Hoffnung für heutige und künftige Kämpfe der deutschen Linkskräfte ziehen lässt. So stand Peter Hacks’ titelgebende Frage „Wessen sollten wir uns rühmen, wenn nicht der DDR?“ zugleich als Aufruf, Lehren aus diesem Teil deutscher Geschichte zu ziehen. Aus souveräner Perspektive, befreit von den antisozialistischen Scheuklappen des Kalten Krieges, die uns der politische Mainstream und seine Medien überstülpen wollen.

Die schnell begonnene Diskussion eröffnete Gina mit Gedanken über die DDR, die der westdeutsche Liedermacher Franz Josef Degenhardt in ein Lied gekleidet hatte: „Ja, dieses Deutschland meine ich …“ Jenen Staat nämlich, in dem das Land dem Volk gehörte, wo Straßen und Plätze die Namen von Rosa Luxemburg, Ernst Thälmann, Lumumba und Ho Chi Minh trugen – „im großen Ganzen gut“ gemacht. Ich sollte die Gesprächsrunde eröffnen und hatte vor, den dann leider wegen Krankheit abwesenden Egon Krenz, Jahrgang 1937, und Patrik Köbele, Jahrgang 1962, zu fragen, wie sie in unterschiedlichen Zeiten und Sozialisierungen, von verschiedenen gesellschaftlichen Standorten aus zu den kommunistischen Überzeugungen gelangten, die sie einen und die auch ihr konvergentes Bild auf die DDR prägten. Egons Antwort steht in seinen Büchern, Patrik erzählte von seinem spannenden Lebensweg. Fazit: Wie man zu den Kommunisten kommt, hat seine Zeiten und Wege. Wenn man dann aber unter der gemeinsamen Fahne marschiert, fließen Erfahrungen und Elan der Alten und Jungen zuallermeist achtungsvoll zusammen. Das ist ein hohes Gut.

Warum ich nun mal Ossi bin

Warum ich nun mal Ossi bin?
Ich hatte einfach Glück.
Die Zeit war meine Lehrerin.
Und fragst du mich nach Lebenssinn,
dann schau ich gern zurück.

Wir führten niemals einen Krieg.
Dass uns die Erde hält,
war Volkes Sinn und Staatsräson,
dass keine Mutter ihren Sohn
beweint am Kriegerfeld.

Wir hielten Solidarität.
Im Land und weltenweit,
wo je ein Volk in Freiheit kam.
In Chile oder Vietnam.
Drauf bin ich stolz bis heut.

Die Frauen hatten gleichen Lohn
und Kitas reichlich Töpfe
für Popos mit Gemeinschaftssinn.
Der Volkswirtschaft sehr zum Gewinn
durch kluge Weiberköpfe.

Es blieb die Doppellast der Fraun.
Manch Kerle lernten spät.
Doch nie entschied bei uns der Mann,
ob Frau ein Konto haben kann
oder zur Arbeit geht.

Und Pisa hätte uns gelobt.
Bildung kein Privileg.
Man lernte, wie man denkt und schreibt
und seiner Heimat nahe bleibt
auf mühevollem Weg.

Die Kinokarte 2 Mark 05.
Und Jugendklubs statt Straße.
Erschwinglich Gas und Strom und Sprit.
Gesundheitsdienst ohne Profit.
Nur Kranke erster Klasse.

Gab Tränen auf dem Wohnungsamt.
Und grau war manche Stadt.
Doch keiner unter Brücken schlief,
niemand zur Tafel betteln lief,
weil jeder Arbeit hatt‘.

Bescheiden ging es zu, nicht arm.
Reich war kein Kontostand.
Du bliebst du selbst im Kollektiv,
und wenn dir was zu Schaden lief,
half irgendeine Hand.

Als sich der Westen rüberschob,
da kehrten krude Besen.
Wie klang es von der Siegerbank?
An eurem Zwergenuntergang
seid ihr selbst schuld gewesen.

Die Fehler schreiben wir uns auf.
Die frühen wie die späten.
Wächst brachen Feldern nochmal Korn,
dann lernt die junge Mannschaft vorn,
was falsch ist auszujäten.

Was unser Staat war, ist perdu.
Doch will er längst nicht sterben.
Denn was wir einmal hingestellt,
das fällt nicht einfach aus der Welt.
Da ist etwas zu erben.

Warum ich nun mal Ossi bin?
Ich hatte einfach Glück.
Die Zeit war meine Lehrerin.
Und fragst du mich nach Lebenssinn,
dann kämpfe ich dort, wo ich bin.
Dann kämpfe ich dort, wo ich bin
und schaue gern zurück.

Text und Musik: Hartmut König
(Juli 2024)

4011 DSC7525 - Ja, dieses Deutschland meinen wir! - 75 Jahre Friedensstaat, Antiimperialismus, DDR, Hartmut König, Solidarität, UZ-Matinee, Weltfrieden - Kultur
Hartmut König

Frieden vor allen Dingen

Im Vordergrund der Debatten stand – aus aktuellem Grund – die Friedenspolitik der DDR, die im Unterschied zur BRD nie einen Krieg führte. Patrik erinnerte daran als bleibendes Argument für eigene Kämpfe. Und Solidarität: Gina sprach von den tausenden Briefen, die Kinder aus der DDR dem griechischen Komponisten Mikis Theodorakis in den Kerker der faschistischen Junta geschickt hatten und denen er später seine Freiheit mit verdankte. Ich erzählte von den „FDJ-Brigaden der Freundschaft“, in denen DDR-Freiwillige auf verschiedenen Erdteilen eine effektive Entwicklungsarbeit leisteten. Sie halfen, ökonomische Projekte im gegenseitigen Interesse zu verwirklichen und bildeten durch ein System effektiver Berufsschulung einheimische Facharbeiter heran. Wir sahen mit Freude die befreiende Kraft, die sich heutzutage vor allem im Globalen Süden als Alternative zu den repressiven internationalen Beziehungen der US-gesteuerten westlichen „Wertewelt“ bündelt. Und immer wieder wurde die Gefährlichkeit der NATO-Ostland-Ritte thematisiert. Sie haben in Europa einen fürchterlichen Krieg provoziert und ihre Expansion in den Fernen Osten steht zu befürchten. Dem Russland-Bashing heutiger Machart ging schon zu DDR-Zeiten die Missachtung sowjetischer Friedens- und Abrüstungsvorschläge voraus. Heute kennt die Demütigung der Russischen Föderation als Nachfolgerin der So­wjet­union, deren Rote Armee bei der Befreiung Deutschlands und der Welt vom Faschismus die größten Opfer gebracht hatte, kein Maß. Die Leugnung des entscheidenden, lange vor dem militärischen Engagement der Westalliierten vorgetragenen Beitrags der Sowjetsoldaten widerspricht eklatant der geschichtlichen Wahrheit und ruft bei der Mehrzahl der Bevölkerung, die in der DDR groß geworden ist, Empörung hervor. Wie wohltuend ist da noch einmal Degenhardts Song „Wolgograd“. Eine berührende Erinnerung an jene Stadt, in der sich der Kriegsverlauf wendete und von der aus die Rote Armee ihren Siegeszug bis vor Hitlers Rattenbunker antrat. Und wir machen uns Degenhardts Mahnung, vorgetragen von Gina und ihrem Pianisten Bardo Henning, zu eigen: „Nichts ist vergessen. Und niemand!“

Da westliche Fußtritte gegen alles Russische leider ein älteres Übel sind, hatte der Oktoberklub schon zu DDR-Zeiten das Spottlied „Wenn der Russe nicht wär“ vorgetragen. Ich hatte später den Text neu gefasst und erzählte nun, was alte Nazis, die westliche Rüstungslobby, der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, die DDR-Pflanzen Angela Merkel und Fliegerkosmonaut Siegmund Jähn, natürlich aus ganz unterschiedlichen Gründen und Interessen, ausrufen lässt „Wenn der Russe nicht wär!“. Atemlos still wurde es im Saal, als ich die letzte Strophe, die man nicht singen kann, nur sprach. Darin hat ein KZ-Überlebender das Wort: „Wenn der Russe nicht wär, / wär ich nicht mehr am Leben. / Wurde wiedergeborn. / Hatte mich aufgegeben. / Habe vieles vergessen. / Nie den Russen am Tor. / Der hatte noch Tränen, / die ich längst verlor. / Und was immer sie lügen, / ich seh dieses Gesicht. / Und verrate es nicht.“ Die Stille war Dankbarkeit für die Befreiung und zugleich Ausdruck unserer nie erloschenen antifaschistischen Haltung.

Von der DDR ist was zu erben

Brechts Zeilen „Und weil wir dies Land verbessern, lieben und beschirmen wir’s“, auf der Matinee nicht zitiert, war doch stets präsent. Wenn über die Vorzüge der DDR-Gesellschaft gesprochen wurde, stand auch das Verbesserungswürdige, noch nicht Perfekte, in den politischen wie sozialen Ausrichtungen aber Zukunftsweisende zur Debatte. Dabei ging es um die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Vollbeschäftigung, das Wohnungsbauprogramm, die Kinder- und Familienförderung, die Gleichberechtigung der Frauen trotz ihrer verbliebenen Doppellast von Beruf und Familie, ein Bildungssystem, das Pisa gefallen hätte, und ein Gesundheitswesen, in dem es keine Patienten erster und zweiter Klasse gab. Auch um eine ungehinderte Teilhabe an einem reichen geistigen und kulturellen Leben sowie die Symbiose von Solidarität nach innen und außen. Ich dachte, das sollte man mal aufschreiben, und habe ein solches Plädoyer in dem Song „Warum ich nun mal Ossi bin“ zusammengetragen. Er hatte in der Matinee seine Premiere.

Andrea Hornung zitierte in ihrer Moderation den jungen, erst in späten Tagen zur DDR übergetretenen Schriftsteller Ronald Schernikau mit seinen Worten auf dem DDR-Schriftstellerkongress im März 1990: „Wer die Buntheit des Westens will, wird die Verzweiflung des Westens kriegen.“ Er wurde verlacht. Wem einst nach Lachen zumute war, dem wird es bald im Halse stecken geblieben sein, falls er nicht Lust hatte auf Nach-Denken. Sich fair zu erinnern und dabei nicht zu Ende Gedachtes oder aus falscher Rücksicht Verschobenes neu zu denken und auf den Kern künftiger Möglichkeiten zu bringen. Denn trotz mancher Kinderkrankheiten und Fehler zeigte die DDR sehr klar: Ein Leben ohne kapitalistische Ausbeutung ist möglich und befreiend. Ein lebenswertes Land, das den Namen DEUTSCHE DEMOKRATISCHE REPUBLIK verdient, ist keine Utopie mehr. Das gab es und es bleibt eine Hoffnung. Auch hat es ein schönes Lied zur Seite, dessen Text noch alle Matineebesucher kannten und mitsangen: „Auferstanden aus Ruinen / und der Zukunft zugewandt. / Lass uns dir zum Guten dienen, / Deutschland, einig Vaterland.“ Tun wir das auf unsere Weise!

Friedensstaat DDR – Der Republik zum 75.
Veranstaltung der DKP Leipzig am 13. Oktober

Am 7. Oktober vor 75 Jahren wurde die DDR gegründet. Der einzige deutsche Staat, von dessen Boden kein Krieg ausging und in dem die Erhaltung des Friedens Verfassungsrang hatte. Das „Nie wieder!“, das Ausschlag für die Gründung des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden gab, wirkt auch heute, 33 Jahre nach der Annexion durch die kapitalistische BRD, noch nach.

Das deutsche Kapital rüstet sich derweil, endlich den großen Krieg gegen Russland (und China) führen und gewinnen zu können, mit dem es Europa und die Welt schon zweimal in die Katastrophe geführt hat. Da sind kritische Stimmen und die Erinnerung an ein anderes Deutschland, das 40 Jahre lang möglich war, fehl am Platz und werden verdrängt. Die DKP Leipzig hält dagegen: Am 13. Oktober 2024 lädt sie ein zu einer Veranstaltung über den Friedensstaat DDR.

Hans Bauer, ehemaliger stellvertretender Generalstaatsanwalt der DDR und heutiger Vizepräsident des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden (OKV), wird über den „Verfassungsauftrag Frieden in der DDR“ und dessen Erfüllung sprechen. „Zur Rolle der Sicherheitsorgane“ für die Friedenspolitik referiert Gerald Böhm von ISOR e. V., Oberst a. D. Friedemann Munkelt vom „Verband zur Pflege der Traditionen der NVA und der Grenztruppen der DDR“ wird über die Nachwirkungen der Friedenspolitik der DDR reden, die sich unter anderem in dem Ruf nach diplomatischen Lösungen in der Ukraine äußern. Über „Abrüstungsinitiativen und friedliche Koexistenz“ spricht Max Rodermund, Mitarbeiter der Internationalen Forschungsstelle DDR. Die Kommunistische Organisation (KO) erinnert an die internationale Solidarität der DDR und ihre Unterstützung für Befreiungsbewegungen. Den Bogen in die Zukunft zieht die Sozialistische Deutsche Arbeiterjungend (SDAJ) mit der Vorstellung ihrer Kampagne „Eure Kriege – Ohne uns!“

Leipzig, 13. Oktober, 10 bis 16 Uhr, Messemagistrale, Straße des 18. Oktober 10a

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"Ja, dieses Deutschland meinen wir!", UZ vom 4. Oktober 2024



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