Was für eine Bescherung für die Rechtsregierung in Tel Aviv! Kurz vor dem christlichen Weihnachten und dem jüdischen Chanukka-Fest hat sich der UN-Sicherheitsrat auf das Völkerrecht besonnen. Die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten Palästinas einschließlich Ost-Jerusalem ist ein Verstoß gegen internationales Recht und ein großes Hindernis auf dem Weg zu einem dauerhaften und umfassenden Frieden im Nahen Osten, heißt es in Resolution 2334, die am 23. Dezember vom höchsten Gremium der Vereinten Nationen angenommen worden ist. Bis zuletzt hatte die israelische Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu versucht, das Votum zu verhindern. Für den Beschluss stimmten die Vetomächte Frankreich, Großbritannien, Russland und die Volksrepublik China sowie die nichtständigen Sicherheitsratsmitglieder Angola, Ägypten, Japan, Malaysia, Neuseeland, Senegal, Spanien, die Ukraine, Uruguay und Venezuela. Die Vetomacht USA enthielt sich der Stimme.
Das völkerrechtlich zugrundeliegende Prinzip ist einfach und unstrittig: Besatzer dürfen keine eigene Zivilbevölkerung in okkupiertes Territorium umsiedeln. In UN-Resolution 2334 heißt es denn auch, die israelischen Siedlungen im Westjordanland haben keine Rechtsgültigkeit. Israel vertritt dagegen die Auffassung, das im Sechstagekrieg 1967 eroberte Gebiet Judäa und Samaria sei zuvor kein Staat gewesen. Die dort errichteten Siedlungen seien kein Friedenshindernis.
Tatsächlich verwandeln die illegal errichteten Städte und Gemeinden das Land der Palästinenser in einen Flickenteppich. Der israelischen Friedensgruppe Peace Now zufolge leben im Westjordanland und Ost-Jerusalem mittlerweile rund 590 000 israelische Siedler inmitten von rund drei Millionen Palästinensern. Seit Unterzeichnung der sogenannten israelisch-palästinensischen Friedensverträge im Jahr 1993 hat sich die Zahl der Siedler verdreifacht. Laut Menschenrechtsorganisation Betselem gibt es im Westjordanland mittlerweile 125 Siedlungen. Hinzu kommen etwa 100 von der israelischen Regierung offiziell nicht genehmigte „wilde Siedlungen“. Allesamt sind sie illegal.
Statt dem Völkerrecht zu folgen und den Siedlungsbau zu stoppen, schränkte die israelische Rechtsregierung in einer ersten Reaktion auf die UN-Resolution ihre Beziehungen zu zehn Ländern ein, die für den Beschluss gestimmt haben. Die Anweisung betrifft unter anderem Kontakte mit ausländischen Botschaften in Israel sowie gegenseitige Reisen und Besuche. In Angola wurde ein Hilfsprogramm gestoppt, im westafrikanischen Senegal Presseberichten zufolge gleich alle israelischen Hilfsprogramme. Ein zum Jahreswechsel geplanter Israel-Besuch des ukrainischen Ministerpräsidenten Wolodimir Groisman wurde ebenso abgesagt wie ein geplanter Besuch des senegalesischen Außenministers. Auch ein Treffen Netanjahus mit der britischen Premierministerin Theresa May am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos im Januar soll gecancelt worden sein. Der Beschluss sei „schändlich und anti-israelisch“, wetterte der israelische Premier. Dem scheidenden US-Präsidenten warf er vor, hinter den Kulissen die Resolution selbst inszeniert zu haben. Mit Blick auf den kommenden US-Präsidenten Donald Trump gibt sich Netanjahu zuversichtlich: „Es wird dauern, aber diese Entscheidung wird annulliert werden.“ Bis es soweit ist, sollen die israelischen Zahlungen an die Vereinten Nationen auf den Prüfstand.
Der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman ordnete laut Armeeradio einen Stopp der zivilen Zusammenarbeit mit den Palästinensern an. Erziehungsminister Naftali Bennett rief dazu auf, Israel müsse sich von der Idee eines unabhängigen palästinensischen Staates verabschieden. Weite Teile des Westjordanlandes sollten annektiert werden, so Bennett. In einem ersten Schritt könnte die Siedlerstadt Maale Adumim dem Staat Israel einverleibt werden. Jerusalem sei „ewige Hauptstadt“ Israels, so der Rechtsaußen. „Kein Volk kann in seinem eigenen Land als Eroberer gelten.“ Die Resolution des Weltsicherheitsrats werde letztendlich im „Mülleimer der Geschichte“ enden.
Eine Sicht, die vom Schweizer „Tages-Anzeiger“ geteilt wird: „Der nun verabschiedeten UN-Resolution zum Trotz dürfte der Siedlungsbau in den kommenden Jahren einen ungehinderten Aufschwung erleben. Die Zweistaatenlösung wird damit Schritt für Schritt, Haus für Haus, begraben. Die USA mögen dann vielleicht nach Trump mit einem anderen Präsidenten wieder eine andere Politik verfolgen. Israel aber verbaut sich gerade buchstäblich die Chance, irgendwann in Frieden mit seinen Nachbarn leben zu können. Trotz UN-Resolution dürfte der Siedlungsbau in den nächsten Jahren einen Aufschwung erleben.“
Konsequenterweise will Israel auch nicht an einer Nahost-Konferenz Mitte Januar in Paris teilnehmen. Verteidigungsminister Lieberman fuhr gegen die französische Friedensinitiative verbal schweres Geschütz gegen die Zusammenkunft von Vertretern aus rund 70 Staaten auf. „Es handelt sich nicht um eine Friedenskonferenz, sondern um ein Tribunal gegen den Staat Israel“, sagte er vor Abgeordneten seiner Partei „Unser Haus Israel“. Und weiter: „Das ist eine moderne Version des Dreyfus-Prozesses mit dem Staat Israel und dem jüdischen Volk auf der Anklagebank.“ Die Konferenz verfolge das Ziel, Israels Sicherheit und seinem „guten Namen“ zu schaden, so Lieberman. Einen „guten Namen“ hat Israel freilich nur bei jenen, die die jahrzehntelange Besatzungspolitik tolerieren. Auch die jüngste UN-Resolution hat für Israel keine unmittelbar negativen Konsequenzen. Die Fortführung des illegalen Siedlungsbau bleibt weiter frei von internationalen Sanktionen.