Angriffe auf Libanon fordern viele zivile Opfer – und befeuern die Eskalation

Israel will umfassenden Krieg

Die Spirale der Eskalation dreht sich schneller. Monatelang hatten sich die israelische Armee und die Hisbollah und ihre libanesischen Verbündeten bekämpft – fast ausschließlich auf einem schmalen Streifen entlang der Grenze. Dann kam der israelische Angriff mit Sprengfallen in Kommunikationsmitteln, die Bombardierung von Wohnhäusern im Süden von Beirut mit 45 Toten und Dutzenden Verletzten. Danach kamen verheerende Luftangriffe auf den Libanon mit mehr als 500 Toten. Insgesamt sind allein am Montag nach Angaben des Gesundheitsministers Firass Abiad 558 Menschen durch israelische Angriffe getötet worden, darunter 50 Kinder. Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ am Dienstag bombardierte Israel Wohnhäuser in einem Vorort von Beirut.

In Erklärungen wenden sich arabische Staaten, Parteien und Politiker (dazu gehört selbst der frühere libanesische Ministerpräsident Saad Hariri) gegen die israelische Aggression. Die Bundesregierung ließ sich am Samstag zu einer Erklärung herab, in der sie die Hisbollah aufforderte, sich aus dem Grenzgebiet zu Israel zurückzuziehen. Die israelischen Kriegsverbrechen erwähnte sie – ebenso wie das Schicksal der Palästinenser – nicht.

Die Angriffe haben die Hisbollah getroffen, militärisch hatte Israel einen Erfolg erzielt. Der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, sprach – wie auch Verbündete der Organisation – von einem schweren Schlag.

Doch den israelischen Behörden war klar, dass eine Reaktion der Hisbollah folgen würde. Der Luftraum von Haifa bis zur Grenze wurde gesperrt, Krankenhäuser aktivierten Schutzräume, Veranstaltungen durften nur noch mit höchstens 30 Teilnehmern im Freien und 300 in geschlossenen Räumen durchgeführt werden, Schulunterricht fiel aus, Strände wurden geschlossen.

Und schon in der Nacht zum Sonntag folgte der erste Gegenschlag. Es waren Angriffe bis in die Umgebung von Haifa circa 50 Kilometer südlich der libanesisch-israelischen Grenze. Die Hisbollah griff mit Raketen die Militäreinrichtung „Ramat David“ an. Hier hatte Verteidigungsminister Joaw Gallant erst Tage zuvor eine neue Phase des Krieg verkündet. Ein weiteres Ziel war mit dem „Rafael“-Unternehmen der militärisch-industrielle Komplex. Weitere Militärstützpunkte wurden mit Drohnen angegriffen.

Es war eine erste Antwort der Hisbollah auf die israelischen Angriffe. Es folgte ein Strom von Raketen auf Flugplätze und Waffenlager, die nicht vollständig vom „Iron Dome“ abgefangen werden konnten. Und je länger der Krieg andauert, umso teurer wird er für Israel. Die Bank von Israel schätzt die Kosten des Krieges bis Ende nächsten Jahres auf ungefähr 60 Milliarden Euro.

Benjamin Netanjahu hat mit seinen Vorstellungen eines „zweiten Unabhängigkeitskrieges“ hohe Erwartungen geweckt. Die palästinensische Seite dagegen formulierte zunächst einfachere Ziele.

Danach haben sich unter der Ägide des chinesischen Außenministeriums alle palästinensischen Organisationen Ende Juli in Peking auf ein Abkommen verständigt, das die Spaltung zwischen den verschiedenen Fraktionen beenden und eine umfassende Regierung der nationalen Einheit für einen unabhängigen palästinensischen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt anstreben soll. Mit den US-Plänen für Gaza „nach dem Krieg“ wäre eine solche Regierung aus Hamas, Fatah und anderen Gruppen unvereinbar. Es ist nicht der erste Versuch, die Spaltung der palästinensischen Organisationen zu überwinden. Doch diesmal lassen die Garantiestaaten Ägypten, Algerien, China und Russland eine dauerhafte Einigung als möglich erscheinen.

Nasrallah betonte, dass seine Organisation keinen großen regionalen Krieg wolle. Aber weiterhin könne nur ein Waffenstillstand in Gaza Entspannung an der Grenze zum Libanon bringen. Mit der jetzigen Eskalation will die israelische Regierung die Hisbollah angeblich von der Grenze in den Norden hinter den Fluss Litani drängen. Doch die andauernde Bombardierung von Gaza, die Kämpfe auf der Westbank, die Drohungen Netanjahus – das alles lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Die israelische Regierung will einen umfassenden Krieg – in dem Israel von den USA unterstützt wird.

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"Israel will umfassenden Krieg", UZ vom 27. September 2024



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