Nur 48 Länder haben sich den Sanktionen gegen Russland angeschlossen

Isoliert ist anders

Kolumne

Russland sei wegen seines Krieges gegen die Ukraine „in der Welt isoliert“: Das hatten die Staats- und Regierungschefs der G7 am 11. März in einer gemeinsamen Erklärung geäußert und die Behauptung wird im Westen bis heute regelmäßig wiederholt. Die Sache dabei ist nur: Die Behauptung trifft nicht zu. Sie führte schon kurz nach Kriegsbeginn in die Irre, und sie ist seitdem nicht wahrer geworden. Eines ist zwar richtig: Die meisten Staaten weltweit lehnen den Krieg als solchen ab; in der UN-Generalversammlung am 2. März stimmten 141 der 193 UN-Mitgliedstaaten der Forderung nach einem sofortigen russischen Rückzug aus der Ukraine zu, und auch Staaten wie China oder Indien, die sich der Stimme enthielten, äußern diplomatisch kaum verhüllte Kritik an dem Waffengang. Der Forderung des Westens aber, sich den Russlandsanktionen anzuschließen, folgen bis heute nur 48 Staaten – die Länder Nordamerikas und Europas und ihre sechs bedeutendsten Verbündeten in der Asien-Pazifik-Region. Drei Viertel aller Staaten weltweit lehnen die Sanktionen bis heute ab.

Einer davon ist Indien. Der Staat, der seit der Sowjetära eng mit Moskau kooperiert, ist bestrebt, die Zusammenarbeit zu bewahren. Neu-Delhi und Moskau sind mittlerweile dabei, ein Zahlungssystem für ihren Handel zu entwickeln, das ohne SWIFT und den US-Dollar auskommt, also sanktionssicher ist. Indien hat begonnen, seine Erdölkäufe in Moskau auszuweiten; indische Exporteure haben den russischen Markt, aus dem sich westliche Unternehmen zurückziehen, im Visier. Dem steigenden Druck vor allem aus den USA und der ehemaligen Kolonialmacht Britannien hält die indische Regierung hartnäckig stand; vergangene Woche lud sie eine britische Parlamentarierdelegation aus, von der man erwartete, sie würde ihren geplanten Aufenthalt in Neu-­Delhi nutzen, um dort die Übernahme der westlichen Russlandsanktionen zu fordern. Am 22. März nahm Indien an einem Treffen teil, zu dem Russlands Außenminister Sergej Lawrow die Botschafter der BRICS-Staaten in Moskau geladen hatte; anschließend empfing der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar erstmals seit geraumer Zeit seinen chinesischen Amtskollegen Wang Yi. Ein zentrales Thema: die Abwehr der Russlandsanktionen.

Gleich mehrere Abfuhren mussten die westlichen Mächte am vergangenen Wochenende auf dem Doha-Forum einstecken, einem internationalen Dialogforum in der Hauptstadt Katars, an dem zahlreiche Außenminister sowie viele weitere einflussreiche Funktionäre aus aller Welt teilnahmen, nicht wenige von ihnen aus der arabischen Welt. Katars Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani erhielt starken Beifall, als er darauf hinwies, dass sich viele Millionen Afghanen, Iraker, Libyer, Palästinenser oder Syrer in einer ähnlichen Lage befunden hätten oder immer noch befänden wie heute Millionen Ukrainer, ohne dass sie aus Europa eine auch nur annähernd gleichwertige Unterstützung erhielten. Forderungen aus dem Westen, die Golfstaaten sollten umgehend ihre Erdölförderung ausweiten, um ein globales Embargo gegen Russland zu ermöglichen, stießen weiterhin auf taube Ohren; erst Mitte März waren eine US-Delegation und der britische Premierminister Boris Johnson in Riad und in Abu Dhabi mit dieser Forderung abgeblitzt. Einen diplomatischen Kinnhaken verpasste dem Westen in Doha der türkische Außenminister Mevlüt Çavus¸og˘lu, als er äußerte, natürlich seien russische Oligarchen in der Türkei hochwillkommen – nicht nur als Touristen, auch als Investoren.

Indien, die arabische Welt, sogar der NATO-Partner Türkei: Das sind nur Beispiele; von den Russlandsanktionen fern halten sich weiterhin die Staaten Lateinamerikas und Afrikas sowie die meisten Länder Asiens. Freilich ist unklar, ob sich die große Mehrheit der Welt dem Druck des Westens, sich seinen Sanktionen anzuschließen, auf Dauer widersetzen kann – und ob es ihr gelingt, vor allem das Finanzembargo in der Praxis zu umgehen. Ihr Widerstand gegen die Diktate der westlichen Minderheit aber wird ernst.

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"Isoliert ist anders", UZ vom 1. April 2022



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